Joseph Beuys, am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren und in Kleve und Kranenburg aufgewachsen, ist der Utopist des 20. Jahrhunderts. Er wollte die Welt durch Kunst erlösen und forderte die kreative Mitgestaltung der Gesellschaft ein. Seine Fragen zur Sozialphilosophie und Anthroposophie münden in einem „erweiterten Kunstbegriff“ und der „sozialen Plastik“ als Gesamtkunstwerk. Seine Aktionen, Installationen und Inszenierungen, seine Pädagogik und Politik sind durchdrungen von der Idee einer ästhetisch-ethischen Bildung der Gesellschaft. Man kann darin einen Gegenentwurf sehen zu den Erfahrungen, die Beuys im Zweiten Weltkrieg gemacht hatte. Nach dem Notabitur 1941 wurde er Funker und Bordschütze, stürzte 1944 über der Krim ab, kam nach seiner Genesung als Fallschirmspringer an die Westfront und kehrte im August 1945 an den Niederrhein zurück. Im Jahr darauf wurde er Student an der Kunstakademie Düsseldorf.
In zarten poetischen Zeichnungen wie in gewaltigen Skulpturen, Objekten, Environments, Filmen und lautstarken Spracharbeiten erzeugte Beuys Sinnbilder der menschlichen Existenz. Für die „Sibirische Symphonie“ von 1963 in der Akademie-Aula übte er erstmals das Crossover von Kunst, Musik, Theater und Aktionskunst. Er spielte am Klavier, agierte auch mit einem toten Hasen, dem er schließlich das kleine Herz herausriss. Tod und Leben liegen in seiner Kunst dicht beieinander: „Der Tod ist das Fundament. Wer ihn nicht als Zentrales erkannt hat, denkt nicht.“
Von 1961 bis 1972 war Beuys Professor in Düsseldorf. Aus seiner Klasse ging die Elite der Künstler hervor: Katharina Sieverding, Jörg Immendorff, Imi Knoebel und Reiner Ruthenbeck. Der geniale Pädagoge suchte nach neuen Ausdrucksformen und Materialien, konzentrierte sich auf Fett, Filz und Kupfer zum Speichern von Wärme. Seine Symbole nahm er aus der Natur. Bienen dienten ihm als Zeichen eines perfekt funktionierenden Organismus; den Hasen liebte er, weil er Haken schlägt, im Hirsch sah er das verwundbare Tier.
Der Mann mit Hut war ein revolutionärer Geist. 1967 gründete er die Deutsche Studentenpartei, zum Wohle einer „wirklich christlichen Welt“. 1971 entwickelte er die „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“. 1973 kam der Verein zur Förderung einer Freien internationalen Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung hinzu. 1976 kandidierte er als Parteiloser für den Bundestag, 1979 wurde er Gründungsmitglied der Grünen. Dennoch scheiterte er an dem Versuch, die Politik in die Kunst zu integrieren. Auf der documenta 6 baute er 1977 eine Honigpumpe im Treppenhaus auf und leitete den zirkulierenden Nektar zum Ausstellungsraum: Versinnbildlichung des Lebenskreislaufs.
1972 wurde Beuys aus der Kunstakademie Düsseldorf geworfen, weil er auf Zulassungsbeschränkungen pfiff, jeden Menschen für einen Künstler hielt und in seine Klasse nahm. Unabhängig von derlei tagespolitischen Querelen, die zu seinen Gunsten endeten, entstanden nun Werke von existentieller Bedeutung. Die Scala Napoletana, eine freischwebende „Neapolitanische Leiter“ an zwei Bleikugeln, gleitet gen Himmel und wird doch an Eisenschnüren auf Erden gehalten. „Palazzo Regale“ präsentiert zwei Glasvitrinen mit den Relikten seiner Aktionen. An den Wänden hängen Messingtafeln, die er mit Firnis und Goldstaub versah, so dass ihr Glanz gedimmt ist. Die Umgebung verschwimmt, der Betrachter wird auf sich selbst zurückgeworfen. Der magische Raum in der Kunstsammlung NRW ist das Vermächtnis des Visionärs Beuys, der am 23. Januar 1986 starb. Seine Asche wurde der Nordsee übergeben.