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Severin Kantereit ist bekannt als Teil der Kölner Band AnnenMayKantereit, die zuletzt 50.000 Menschen im Stadion beglückten. Jetzt hat er erstmals Solo-Musik veröffentlicht. Und die ist vor allem: minimalistisch und elektronisch.
Severin, Dein Soloprojekt beginnt mit einer EP. Vier Songs. Also nur eine Handvoll. Warum kein Soloalbum?
Severin Kantereit:
Ich glaube, ich wollte einfach mal einen schönen Anfang machen mit vier Songs. Es war für mich eher andersrum die Frage: Soll es überhaupt eine Platte werden - und nicht einfach mal nur ein Song nach dem anderen? Bis ich dann gemerkt habe: Ich habe schon Lust, als ersten Aufschlag so eine Sammlung an vier Stücken zu bringen. Weil man dann auch ein bisschen musikalisch etwas erzählen kann. Erzählen im Sinne von: Es ist ein spezieller Sound, der diese Stücke zusammenhält. Ein Album kam tatsächlich nie wirklich in Frage. Denn diese Art von Arbeit habe ich natürlich in der Band sehr ausgiebig. Und auch in Zukunft sehe ich meine Solosachen eher als etwas an, das ich parallel zur Band stetig und unregelmäßíg veröffentliche. Sprich: Sobald etwas fertig ist, geht es raus.
Bemerkenswert ist, dass Deine Solostücke ganz anders als diejenigen Lieder klingen, die Du mit AnnenMayKantereit spielst. Es ist elektronische Musik. Wie kommt das?
Severin Kantereit:
Wenn man genau hinhört, finden diese Stücke schon zumindest ein klein bisschen im AnnenMayKantereit-Kosmos statt. Ich nutze auch Instrumente. Und für die Band produziere ich ja auch sehr viel. Diese vier Stücke sind an meinem Laptop entstanden. Da habe ich einen großen Ordner mit Demos und Idee. Den zeige ich regelmäßig den anderen Jungs. Die picken sich dann das raus, was ihnen für die Band gefällt und wir arbeiten dann daran. Und diese Songs stammen auch aus diesem Ordner. Ich habe sie eben am Ende nur in eine andere Form gebracht. In eine, die ich gerade persönlich mag und schön finde.
Aber welche Verbindung hast Du zu elektronischer Musik?
Severin Kantereit:
Eine ganz lange. Mein erstes Konzert, auf dem ich jemals war, war eines von Kraftwerk. Zu dem hatte mich damals mein Vater mitgenommen. Im Kölner Palladium. Da war ich so 12, 13. Und das war sofort ein Einfluss. Ich hatte auch vor AnnenMayKantereit eine Schulband, in der wir eher in diese musikalische Richtung gingen. Die Liebe zur elektronischen Musik war also immer da. Ich habe das in den vergangenen fünf, sechs Jahre immer intensiver wieder verfolgt. Und nach der letzten Tour mit AnnenMayKantereit hatte ich dann etwas Raum, etwas Zeit gehabt, um daran zu arbeiten.
Kraftwerk als erstes Konzert – man kann es schlechter treffen in der musikalischen Sozialisation!
Severin Kantereit:
Danke! (lacht) Ja, das stimmt. Aber man muss ja auch sagen, dass ich das meinem Vater zu verdanken habe und ich zugegebenermaßen auch durchaus komische Momente bei Kraftwerk hatte, weil dieser Auftritt und diese Musik für mich schon ein wenig überfordernd waren. Sagen wir so: Es war verstörend – zumal vor uns auch noch jemand aufgrund der Hitze in der Halle umkippte. Und gleichzeitig war es schön. Abgesehen davon aber liegen elektronische und handgemachte Musik ja auch gar nicht mal so weit auseinander. Es gibt bei beiden minimalistische Elemente, die gerne wiederholt werden. Es gibt Rockbands, die immer dasselbe Riff spielen. Und auch sie setzen ja Synthesizer ein. Ich ziehe meine Inspiration letztlich aus allem.
Würdest Du mir zustimmen, wenn ich sage: Rock- und Popmusik, wie Du sie mit AnnenMayKantereit machst, ist eher physisch, körperlich. Elektronische Musik dagegen eher psychisch. Stichwort „Kopfkino“?
Severin Kantereit:
Auf jeden Fall! Das ist ganz gut beschrieben. In der elektronischen Musik gibt es mehr Raum für Interpretation, während man in einer Band wie meiner wirkliche Texte hat, mit denen man sich direkt identifizieren kann. Man hört anders zu. Elektronische Musik lässt mehr Spielraum zu. Bei meinen eigenen Stücken möchte ich entsprechend auch gar nicht so viel lyrischen Inhalt vorgeben. Ich war jeweils auf der Suche nach ein, zwei schönen Sätzen, die gut klingen und die ich dann, stimmlich bearbeitet, fast schon als Instrument benutzen kann. Ich finde es schön, wenn solche Stücke quasi Flächen enthalten, in denen man sich auch mal verlieren kann. Wenn sie Raum geben.
Wo hast Du Deine Songs aufgenommen?
Severin Kantereit:
In meinem eigenen Studio in Berlin, wo ich mittlerweile lebe, wenn ich nicht gerade in meiner Heimat Köln bin. Das habe ich mir so eingerichtet, dass ich wirklich Zugang zu allen Instrumenten habe. Ich habe alles verkabelt, habe alles, was ich brauche – und diese Art des Arbeitens ist für mich auch derzeit die beste Art. Ich stapele viel aufeinander. Sammle. Und baue mir aus allem meine Klangwelt zusammen. Ich verbringe viel Zeit am Computer. Wobei der erste Schritt zu einem neuen Song trotzdem immer ein analoges, ein echtes Instrument ist. Ich brauche echte Audiosignale, die ich aufnehmen und mit denen ich dann elektronisch weiterarbeiten kann.
In welchem Moment Deiner Karriere als Musiker hast Du denn gemerkt: Da sind auch Solo-Sachen, die ich rausbringen möchte?
Severin Kantereit:
Diesen Drang gibt es schon lange. Es hat einfach an der Zeit dafür gemangelt. Die Band ist mittlerweile ein Riesenapparat, der für mich natürlich immer Vorrang hat und an erster Stelle steht. Jetzt aber war da eben diese zeitliche Lücke nach unserem abschließenden Stadionkonzert – und die habe ich genutzt und mich endlich mal drangesetzt.
Du sprichst das Stadionkonzert in Köln vor 50.000 Menschen an. Nach so etwas – und das auch noch am Ende einer Tour – will man doch wahrscheinlich eher erstmal aufs Sofa und die Musik Musik sein lassen, anstatt sich dann gleich wieder an Solosongs zu setzen, oder?
Severin Kantereit:
Ich kann auch mal ganz gut auf dem Sofa liegen. (lacht) Aber nach spätestens einer Woche wird mir dann langweilig, da ich irgendwie immer diesen inneren Drang habe, Musik zu machen. Ich gebe zu: Das nervt manchmal auch. Es ist nicht immer cool. Auch wenn ich in den Urlaub fahre, habe ich immer einen Laptop und eine Gitarre dabei für den Fall, dass ich Lust bekomme, Musik zu machen. Und was soll ich sagen: Meist habe ich dann Lust. Trotzdem darf man ja nicht vergessen: ich habe jetzt keinen Drang, mit den Solosachen Riesen-Konzerte zu spielen. Ich freue mich einfach über meine Musik als Parallelweg. Das ist ein bisschen wie wieder von vorne anzufangen und zu gucken, wie man sich etwas erspielt.
Köln und das Rheinland stehen dank Kraftwerk, Can, Conny Plank oder der Minimal-Techno-Clubszene tatsächlich für eine Tradition der elektronischen Musik. Fühlst du Dich jetzt als Teil davon?
Severin Kantereit:
Also: Tradition würde ich das bei mir jetzt nicht nennen. Aber ich habe natürlich schon früh Kontakt zu dieser Szene gehabt. Unter anderem zu Schul- und Jugendzeiten. Ich war in Köln viel aus. Da bekommt man das dann mit. Dieser Minimal Techno war für mich immer schon faszinierend. Und es prägt einen, wenn man in einer Stadt und Gegend aufwächst, in der elektronische Musik passiert und gelebt wird. Köln ist diesbezüglich manchmal fast schon cooler als Berlin. Denn in Berlin gibt es ein Überangebot. Hier im Rheinland ist es familiärer.
Kantereits „ep #1“ ist bei Kantereit records erschienen.
Fotos
Martin Lamberty