Interview mit Dicht und Ergreifend: "Wir rappen so, wie wir sprechen"

Musik
Michael „George Urkwell“ Huber und Fabian „Leff Dutt“ Fischmann sind die Frontmänner der Rap-Band Dicht und Ergreifend und Genre-Stars der Stunde, denn: Sie rappen auf Bayrisch – und drehen damit die Hip-Hop-Szene auf Links. Derzeit sind sie mit ihrem jüngst erschienenen Album „Es werde dicht“ auf großer Deutschland-Tour und am 6. Oktober nun auch in Köln. Wir haben mit ihnen über Mundart-Musik und Klischees gesprochen.
Herr Huber, Herr Fischmann, Sie stammen aus Tunzenberg und Ottering in Bayern. Ist das jeweils mehr Stadt oder doch eher Dorf?
Michael „George Urkwell“ Huber:
Tunzenberg hat etwa 300 Einwohner. Ottering ist etwas größer. Da sind es so um die 500, 600 Einwohner. Im Grunde genommen aber ist es das gleiche: ein Dorf.
Und wie kommt man auf dem Dorf zum Rap?
Fabian „Lef Dutti“ Frischmann:
Damals, als wir anfingen, uns für Musik zu interessieren, gab es ja kein Internet. Den ersten Kontakt mit Rap hatten wir also durch MTV, das mittlerweile eingestellte „Juice“-Magazin - und durch diese typischen Compilation-CDs, die auf dem Schulhof rumgingen.
Und irgendwann gründeten Sie ihre eigene Band – und entschieden sich, auf Mundart zu rappen. Ein Alleinstellungsmerkmal. Das macht ja nicht jeder, oder?
Huber:
Es gibt schon eine Mundart-Rap-Szene. Das ist zwar keine extrem große Community. Aber wir sind nicht die einzigen.
Wie kamen Sie denn auf die Idee dazu?
Frischmann:
Die Generation vor uns musste sich ja erstmal trauen, überhaupt auf Deutsch zu rappen. Dann kam plötzlich dieses Deutschrap-Ding und war riesig und ist mit den Fantastischen Vier noch größer geworden. Und anfangs haben auch die Rapper, die es in Bayern gab, noch auf Hochdeutsch gerappt. Bayrisch zu rappen – das hat sich niemand getraut. Das ging ja völlig gegen jedes Prinzip. Gegen alles, was damals so etabliert war. Aber dann hat eben einer damit angefangen – die Crew Doppel D, das waren die Pioniere – und in der Folge sind Mundart-Rapper bei uns zwar nicht gleich wie die Pilze aus dem Boden geschossen, aber stetig mehr geworden. Heute besteht die Szene aus 15 bis 20 Aktiven. Für uns war die Entscheidung für das Bayrische aber kein Kalkül. Wir rappen eben so, wie wir sprechen. So, wie wir groß geworden sind.
Dennoch haften dem Bayrischen zig Klischees an, die einem natürlich auch dann in den Sinn kommen, wenn man Dicht und Ergreifend hört.
Huber:
Ja, aber wenn Sie jetzt diese ganzen Plattitüden und Klischees, die uns ob unserer regionalen Herkunft anlasten, beiseitelassen und unsere Musik einem Menschen aus Ghana oder von anderswo vorspielen würden, dann hätte dieser Mensch auch nur den Eindruck, er würde Lauryn Hill oder The Roots hören. Sprich: Es wäre ganz normal. Er würde sich keine Gedanken über die Mundart machen. Natürlich:  Mundart ist mit vielen, vor allem negativen, Vorurteilen behaftet. Und gerade als Bayer gilt man außerhalb unseres Bundeslandes ja als jemand, der gerade erst zu sprechen gelernt hat. Das ist ja, salopp und überspitzt gesagt, fast schon innerdeutscher Rassismus. Aber wir nehmen uns das nicht zu Herzen.
Nein?
Huber:
Nein. Das geht rechts rein und links raus. Das ganze Bayern-Ding mit Folklore und Lederhose und so ist vollkommen überschätzt und wird viel zu häufig als der große Aufhänger präsentiert. Für uns ist es dagegen völlig beiläufig. Wie gesagt: Wir sind in dieser Umgebung eben groß geworden.
Fischmann:
Klar: Man kann bayrischen Rap machen und nur bayrische Themen und bayrische Optik und bayrischen Patriotismus behandeln. Man kann aber auch, so wie wir eben, einfach unsere Muttersprache nehmen, die wir gut beherrschen und in der wir uns gut ausdrücken können, und andere Themen nehmen. Gesellschaftliche. Politische.
Aber Hand aufs Herz: Sie fordern ob Ihrer Mundart doch eine gewisse Reaktion außerhalb Bayern geradezu heraus!
Fischmann:
Ja. Ich kann mir schon vorstellen, dass manch einer aus einem ganz anderen Teil Deutschlands das lustig und interessant findet, ohne zu wissen, dass da auch wirklich wichtige und relevante Themen angesprochen werden. Aber daran denken wir nicht.
Huber:
Die einen können es eben ab. Die anderen nicht. Es geht letztlich doch darum: Kann ich phonetisch mit dieser oder jener Sprache, mit diesem oder jenem Sprachbild etwas anfangen – oder nicht? Mir geht es ja genauso in Sachen Dialekte: Ich mag zum Beispiel den Hamburger und den Berliner Dialekt sehr gerne. Den sächsischen finde ich, wie wahrscheinlich die meisten anderen hierzulande, sehr kurios. Aber das Wichtigste ist doch: Finde ich einen Zugang zum jeweiligen Sprachklang, zur Sprachmelodie?
Wie stehen Sie denn zum rheinischen Dialekt?
Huber:
Den finde ich sehr amüsant und kenne ihn, weil meine Familie väterlicherseits aus Mönchengladbach kommt.
Dann ist Köln, wo Sie nun auftreten, nicht weit. In Köln wiederum ist Mundart-Musik extrem erfolgreich – und dreht sich, bis auf wenige Ausnahmen wie etwa BAP, explizit auch um genau den Lokalpatriotismus, den Sie ablehnen.
Fischmann:
Ja. Aber mehr als wir kann man nicht tun, wenn man auf bayerisch rappt und zeigen will, dass man mit diesem Patriotismus eben nichts zu tun hat. Es ist wirklich nur die Sprache. Es geht nicht um das Vaterland. Oder um die Trachtenkleidung. Ja, sogar die Tuba, die bei uns zu hören ist, stammt ja aus dem Römischen Reich – und nicht aus Bayern, wie viele womöglich denken.
Sie haben es bereits angesprochen: Ihre Texte sind nicht selten explizit sozial-, polit- und gesellschaftskritisch. Steckt eine gute Portion Punk im Rap?
Fischmann:
Natürlich. Der Ursprung von Rap ist ja gerade das soziale Aufbegehren und das Anprangern von Missständen ohne gewalttätig zu sein. Nur mittels der Musik. Einfach, um seinen Frust loszuwerden. So war es damals, in den Anfängen. Und so ist es auch im Jahr 2023 noch.
Huber:
Zudem sind im Rap ja auch viel mehr Wörter verbaut als etwa im Punk. Es ist ein sehr auf das Wort konzentriertes Genre. In einem Rap-Song lässt sich also noch mehr sagen als in einem Punk-Song. Das würde ich jedenfalls mal behaupten.
Und was für ein Publikum steht dann bei den immer größer werdenden Konzerten vor Ihnen?
Fischmann:
Unser Publikum ist bunt gemischt. Und das liegt daran, dass wir uns eben nicht nur auf ein Thema festgebissen haben. Es geht bei uns nicht nur, um Rap-Klischees zu bemühen, um Kohle, Autos und Bitches. Es geht um viel mehr. Und: Wir sprechen verschiedene Menschen an. Bei uns vor der Bühne stehen Leute von 5 bis 55. Und die sind im Übrigen sehr textsicher. Es macht uns immer Gänsehaut zu sehen, wie sich bei Konzerten ihre Lippen mitbewegen.
Apropos „kritische Texte“: Ihre sind stets sehr aktuell. Haben Sie also auch schon eine Song über den derzeit womöglich umstrittensten bayrischen Politiker Robert Aiwanger in der Schublade liegen, dem ja zuletzt frühere antisemitische Umtriebe nachgesagt wurden?
Huber:
Also, ich glaube, einen direkten Song über den Aiwanger zu machen, das hat er nicht verdient. Vielleicht kommt er mal neben anderen in einem Song vor. Aber mehr auch nicht.
Interview
Frank Weiffen

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