Ein Gespräch mit Holger Czukay, dem Mitbegründer von CAN.

MusikKraftwerkCanDie 70er
Nichts weist in Weilerswist darauf hin, dass hier einmal große Kunst entstand, dass von hier Impulse ausgingen, die Menschen weltweit beflügelten. Doch in der kleinen Gemeinde zwischen Eifel und Köln entstanden die wichtigsten Werke der legendären Gruppe "Can" - Musik die Deutschland den Ruf einbrachte, rockmusikalisch auch mal ganz weit vorne zu sein. Wir haben den am 5. September 2017 verstorbenen Holger Czukay - Mitbegründer von Can - 2008 in Weilerswist besucht.

Zwischen ihrer Gründung im Jahre 1968 und den ausklingenden 70ern mischte Can nicht nur die heimische Rockszene auf. Sie wurde und werden gemeinsam mit »Kraftwerk« von Größen wie David Bowie, Brian Eno und Johnny Rotten in der Liste ihrer Einflüsse ganz oben geführt. Die Musiker von Can machten fast alles anders. Sie weigerten sich, klassischen Song-Arrangements zu folgen, nahmen Umweltgeräusche als Teil ihrer Musik wahr und setzten auf die hypnotische Kraft der endlosen Wiederholung. Dass ausgerechnet in Weilerswist so etwas entstehen konnte, hat sicherlich mit der Reizarmut des Örtchens zu tun. Draußen ist es trist und grau, da bleibt man lieber im Studio, im berühmten Can-Studio.

Klingelt man, öffnet ein freundlicher Herr, der den Besucher ausführlich mustert und neugierig registriert. Es ist Holger Czukay, der nach langjähriger Abstinenz wieder Mieter des Can-Studios ist. Czukay war von Anfang an dabei. Acht reguläre Studioalben hat Can zwischen 1971 und 1978 in diesem Raum produziert, der beim Besuch im wohlig ausgeleuchteten Halbdunkel liegt und noch immer eine ganz besondere Erhabenheit ausstrahlt. Von überall darf der Blick frei durch die Weite des ehemaligen Kinosaals schweifen. Nichts ist endgültig verstellt. Wo früher die Leinwand leuchtete, stehen nun Czukays elektronische Gerätschaften. In der Mitte lehnt, wie eben erst zur Seite gestellt, ein Kontrabass. Daneben liegt auf einem Notenpult eine Urkunde. „Teenager of 2007“ steht darauf. Dänische Fans haben ihm dieses Diplom ausgestellt, „for being young at heart“.

In der Tat hat sich der 69-Jährige kindliche Züge bewahrt. Wenn er kichert, und das tut er oft, dann klingt das ein bisschen so wie bei Schuljungen, wenn sie dem Lehrer gerade Klebstoff auf den Stuhl geschmiert haben. Auf besondere Art hat sich der Klangtüftler dem Erwachsenwerden so verweigert, wie sich schon Can den musikalischen Konventionen entzog. Als Universal-Dilettanten bezeichnet er sich heute noch und führt damit die Tradition der frühen Can-Tage fort. Damals habe man vor der Wahl gestanden, entweder all den bestehenden Künsten noch eins drauf zu setzen oder aber als komplette Nichtskönner an die Instrumente zu gehen und sich auf die Kraft der Eingebung oder die Magie eines Fehlers zu verlassen. Damit war Czukay schon vor Can gut gefahren. Als er sich bei Karlheinz Stockhausen am Kölner Konservatorium vorstellte, gestand er freimütig, er sei vorher schon bei allen anderen Prüfungen durchgefallen. „Sie nehme ich“, hat Stockhausen gesagt.

Trotzdem musste sich Czukay wie auch seine Mitmusiker erst einmal von Stockhausen lossagen, um Can Wirklichkeit werden zu lassen. Stockhausen hasste Wiederholungen, Can lebte davon. Oft standen die Musiker stundenlang im Studio, spielten miteinander und gegeneinander. Czukay war Bassist und der Schnibbler, der gern unbeobachtete Momente mitschnitt und dann aus den Bändern ein Gesamtkunstwerk zusammenklebte. Richtig berühmt wurde Can, als die Band 1971 den Soundtrack zum Francis-Durbridge-Krimi „Das Messer“ bereicherte und die musikalisch mehrheitlich noch eher konservativ gestimmten Zuschauer plötzlich Bekanntschaft mit den Klängen einer Bande von Langhaarigen machten. Die Zottel experimentierten beim Titel „Spoon“ wild und sonderten beinahe rauschhafte Klänge ab, die sich mit sanft verhallender Monotonie zu einem wichtigen Stück psychedelischen Rocks steigerten.

Heute fällt vor allem die Stille auf im Studio, das nicht mehr Can-Studio ist, sondern Czukay einen Spielplatz bietet. Kein Ton dringt herein. Es ist so still, dass in manchen Momenten das Blut im eigenen Ohr zu hören ist. Auch er genieße diese Ruhe, sagt Czukay. Aber dann macht er sich doch wieder auf, nach neuen Tönen zu suchen. Nach wie vor ist er ein Klangtüftler, der auf Kurzwelle Geräusche und Stimmen abhört, sammelt und zu Musik verarbeitet. Schon bei Can hat er damit angefangen, hat sich eine Kurzwellensängerstimme aus dem Radio geholt und diese dann mittels einer Morsetaste an den Rhythmus der Band angepasst. Lässt man Czukay eine Weile reden, quillt er förmlich über vor lauter verrückten Ideen, und man muss sein Alter schon nachschlagen, um es begreifen zu können. Fragt man ihn danach, wie er sich die Musik im Jenseits vorstellt, spricht er allerdings von großer Stille. „Ich hoffe, dass es ganz ruhig ist“, sagt er.

Musik
Kraftwerk
Angekommen im Olymp der Klangpioniere ist die Düsseldorfer Band schon lange - inspirierte sie doch nicht zuletzt Künstler wie David Bowie, Björk oder Dr. Dre und übte Einfluss auf ganze Musikstile von Synthiepop bis Hip-Hop aus. Nun ist Kraftwerk mit dem Sonderpreis "Early Influence Award" ausgezeichnet und seit der offiziellen Aufnahmezeremonie 2021 in Cleveland auch in der Rock & Roll Hall of Fame zu finden. Ein Blick auf die Geschichte des "Roboter-Quartetts".

Mehr Kultur aus NRW mit unserem Newsletter

Kulturkenner patternKulturkenner pattern