1972 wurde der Schriftsteller mit dem Literaturnobelpreis geehrt – als erster bundesdeutsche Preisträger nach dem Zweiten Weltkrieg. „Geboren bin ich in Köln...“: Die lebenslange „Gebundenheit“ an seine Geburtsstadt und das Rheinland hat Heinrich Böll stets als eine Wurzel seines literarischen Schaffens verstanden. Aber die Themen seines Werkes (und bald schon sein Ruhm) reichen weit über die Region hinaus und fügen sich zu einer „Fortschreibung“, die ihn zum ersten Chronisten und Mahner der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft werden ließen. Heinrich Böll, geboren am 21. Dezember 1917, gestorben am 16. Juli 1985, war die kritische Instanz der alten, der „rheinischen“ Bundesrepublik, war der einzig wahre „Volksschriftsteller“, den sie hervorgebracht hat.
Sein hohes internationales Ansehen, besonders in Osteuropa, und der Nobelpreis für Literatur, den Böll 1972 in Stockholm entgegennahm, haben diese Rolle und Funktion „außenpolitisch“ ratifiziert. Gewachsen war sie jedoch aus individuellen wie kollektiven Erfahrungen in Deutschlands schwärzester Zeit; ausformuliert wurde sie in einem breit angelegten, vielfältigen Werk, das fragte, wie wir Deutsche nach Auschwitz und Stalingrad mit der Last unserer Geschichte umgehen und ein „bewohnbares Land“ und eine „bewohnbare Sprache“ zurückgewinnen könnten.
Bölls erste Kurzgeschichten und Erzählungen, gleich nach Kriegsende erschienen und bis heute eindrucksvoll, fassen die Erfahrungen einer Generation in Worte, die im Krieg ihre Jugend verloren hatte. In den fünfziger Jahren rücken die Licht- und Schattenseiten des Wiederaufbaus ins Blickfeld. Böll wendet sich verstärkt der Romanform zu und zieht mit „Billard um halb zehn“ (1959) eine erste Epochenbilanz. Als Gründungsmitglied der einflussreichen „Gruppe 47“ ist er eine unaufgeregte, aber eindringliche Stimme der „nonkonformistischen“ Literatur. Auswüchse des Wirtschaftswunders, Geschichtsvergessenheit und falsche (christliche) Moral sind Zielpunkte seiner Kritik, die in dem heftig diskutierten Roman „Ansichten eines Clowns“ (1963) ihre schärfste Zuspitzung findet.
Heinrich Bölls literarische, moralische und politische Autorität wachsen aus seiner persönlichen Unfähigkeit „mitzuspielen“, wie der Philosoph Adorno anerkannte. In seinem Roman „Gruppenbild mit Dame“ (1970) feiert Böll die Qualität eines selbstbestimmten, äußeren Zwängen sich widersetzenden Lebens. Bald darauf gerät er mit seinem Plädoyer für einen differenzierenden Umgang mit dem linken Terrorismus in erbitterten Meinungsstreit und sieht sich Diffamierungen ausgesetzt. Literarisch reagiert er auf die Gewalt-Debatte 1974 mit „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Auch in den Abrüstungsdebatten der 1980er Jahre ist er, nicht ohne Verbitterung, hörbar. Böll wurde immer wieder „gefeiert und bespuckt“, wie sein Generationsgenosse Willy Brandt bemerkte.
Die große Anteilnahme nach seinem Tod, die weit über den Literaturbetrieb hinaus reichte, hat Bölls repräsentative Rolle noch einmal ins Licht gerückt. Eine gewisse Tragik mag darin liegen, dass Böll selbst in der Konfrontation nicht hinreichend wahrnehmen konnte, was er mit seinem künstlerischen und öffentlichen Wirken für die innere Demokratisierung der Bundesrepublik und ihre Konfliktstoffe sowie mit Blick auf ihre Akzeptanz bedeutet und bewirkt hatte – unabhängig davon, ob man seine Bücher künftig lesen wird. Marcel Reich-Ranicki schrieb in seinem Nachruf: „Aber solange es eine deutsche Literatur geben wird, wird man seiner mit Respekt und Dankbarkeit gedenken.“