Der kleine Ort Brakel, tief in Ostwestfalen, kurz vor der Grenze zu Hessen. Hier tragen viele Straßen „Mühle“ im Namen und fast immer ist dann auch eine zu sehen oder das Plätschern eines alten Mühlbaches zu hören. Hier hat Hannah Schlubeck 2009 eine Musikakademie eröffnet – natürlich in einer historischen Mühle, die sie mit viel Eigenleistung zum Seminarzentrum mit Gastzimmern und Wohnung umgebaut hat. Vor dem Fenster dreht sich beruhigend das Mühlrad, durch den Garten fließt idyllisch der Bach.
Aufgewachsen ist Schlubeck allerdings in Wuppertal. „In einem sehr musikalischen Haushalt“, wie sie erzählt. „Meine Mutter ist eine begabte und engagierte Laienmusikerin.“ Klassische musikalische Früherziehung war selbstverständlich und die Begabung von Hannah, die damals noch Matthias hieß, zeigte sich schon früh. „Als andere Kinder dann mit Blockflöte anfingen, suchten meine Eltern ein geeignetes Instrument für mich“, eines, das sie auch mit ihrer angeborenen Behinderung spielen kann. Eine private Sammlung mit ethnologischen Instrumenten in Wuppertal half dabei. Schließlich sei die Panflöte zu ihr gekommen, sagt sie fast liebevoll. Hannah Schlubeck und die Panflöte – sie bilden eine perfekte Einheit.
Als erste überhaupt machte Hannah Schlubeck einen Hochschulabschluss im Fach Panflöte in Deutschland. Der Weg dahin war von Eigeninitiative geprägt: Lehrer*innen, die über die Grundkenntnisse hinaus die technischen Feinheiten des Instrumentes vermitteln konnten, gab es kaum, in Deutschland schon gar nicht, wo die Panflöte keine Tradition hat.
Den Sprung von der Volks- zur Kunstmusik hat sie allerdings erst sehr spät geschafft. Selbst die rumänische Panflöte, wie Schlubeck sie spielt, wäre beinahe verschwunden. Dann kam in den 1970er Jahren Gheorghe Zamfir, der europaweit tourte und mit James Last und Ennio Morricone zusammenarbeitete. Viel wichtiger war aber, dass er begann, neben volkstümlicher Musik auch klassische Werke auf der Panflöte zu spielen.
Ihren wichtigsten Förderer fand Hannah Schlubeck jedoch in einem anderen Panflötisten dieser Zeit: Jean-Claude Mara. Bei einem Konzert in Wuppertal lernten sie sich kennen. Der Franzose erklärte sich bereit, sie auszubilden. Mara spielte ausschließlich eigene, improvisierte Musik, meist gemeinsam mit dem Organisten Jean Dahais. Vor über zehn Jahren zog sich der heute fast 80-Jährige aus dem aktiven Konzertbetrieb zurück. Seine Musik droht damit zu verschwinden. Hannah Schlubeck hat es sich zur Aufgabe gemacht, das zu verhindern: Aus den unzähligen Aufnahmen der improvisierten Stücke, die in den Versionen teilweise stark voneinander abweichen, rekonstruiert sie in mühevoller Kleinarbeit Maras Ideen und setzt sie in Notationen um. Eine besondere Herausforderung dabei: Die Orgelpartien. „Ich spiele ein Melodieinstrument, deshalb denke ich auch viel mehr in Melodien als in Akkorden“, sagt Schlubeck. Die teilweise sehr komplexen Orgelakkorde muss sie durch Ausprobieren Ton für Ton finden. Das „Auf geht’s“-Stipendium des Landes NRW hat ihr die Möglichkeit zu dieser zeitintensiven Arbeit gegeben, Maras Werke für die Nachwelt zu retten.
Neben seinen Originalwerken spielt Hannah Schlubeck in ihren Konzerten vor allem Barockmusik. Die rumänische Panflöte, die sich nur etwas in der Konstruktion, aber sehr in der Spieltechnik von der südamerikanischen, die man aus den Fußgängerzonen-Konzerten von Straßenmusikern kennt, unterscheidet, erlaubt die Adaption nahezu aller hohen Melodiestimmen. Ihre ganze Schönheit entfaltet das Instrument besonders in Werken, die ursprünglich für Blockflöte geschrieben wurden. Hier übertrifft der brilliantere und in der Intonation sicherere Klang der Panflöte den des Originalinstrumentes. Und die Virtuosität der Verzierungen – kein Problem für Hannah Schlubeck.
Zuletzt räumt sie noch mit einem weiteren Klischee auf: Nein, im Garten unter einem Baum sitzend wie der griechische Hirtengott spielt sie ihr Instrument nie. „Da klingt sie einfach nicht. Der Ton braucht einen Raum, in dem er sich entfalten kann.“ Am besten in einer Kirche. Der Altenberger Dom im Bergischen ist eine ihrer liebsten – auch weil Jean-Claude Mara hier regelmäßig spielte.