Kalter Zugwind umspielt die Nase, die Hände sind in die Hüften gestützt. Die Augen können auf dem Gipfel der Halde Haniel nicht aufhören, das Panorama zu erfassen: In weiter Entfernung rauchen immer noch Schlote, in Richtung Süden liegt der Oberhausener Gasometer, östlich die Fußball-Arena in Gelsenkirchen. Konzentriertes Ruhrgebiet auf einen Blick. Und unten, am Fuß der Halde, ist die ehemalige Schachtanlage Franz Haniel I/II mit Fördergerüst zu erkennen. Sie brachte einst, wie auch andere Schachtanlagen des Bergwerks Prosper-Haniel, das „Bergematerial“ aus der Tiefe, das sich heute 159 Meter hoch zur Halde auftürmt.
Der Rundumblick über das nordwestliche Revier bleibt bei den bunten Stelen hängen, die himmelwärts aus der Haldenoberfläche ragen. In verschiedensten Farben leuchten sie in kleinen Formationen, ihr frühere Verwendung als Bahnschwellen liegen lange zurück. Was sich der baskische Maler und Bildhauer Augustin Ibarrola wohl dachte, als er seine „Totems“ 2002 im Rahmen der RuhrTriennale an diesem außergewöhnlichen Ort installierte? Eine Verbindung zwischen Industrie und Natur wollte er schaffen, hat er mal gesagt. Es ist ihm gelungen.
Die „Totems“ komplettieren das Ensemble aus Kunst, Kultur und Religion auf der Halde Haniel. Bereits beim Aufstieg entdecken Ausflügler den Kreuzweg und folgen ihm nach oben. Seit 1995 bietet er die Chance zur Andacht, ebenso wie zur bergbaugeschichtlichen Weiterbildung. Über 15 Stationen mit Kupfertafeln und arrangierten Bergbau-Relikten führen die Serpentinen bergauf. Die Tafeln bilden Szenen aus der Leidensgeschichte Christi ab, die Gerätschaften erinnern an die Schwerstarbeit in der Tiefe: ein Förderwagen, eine Schrämwalze und ein Schildausbau gehören dazu, der die Bergleute ursprünglich vor Stein- und Kohlefall schützte.
Die verstorbene Künstlerin und Ordensfrau Tisa von der Schulenburg hat die 15 Kupfertafeln gestaltet. Der Oberhausener Künstler Adolf Radecke und damalige Auszubildende des Bergwerks Prosper-Haniel setzten die Gerätschaften damit in einen allegorischen Bezug. Heute ist das alles Geschichte. Auch Prosper-Haniel ist dicht, bringt seit September 2018 kein Bergematerial mehr nach oben. Und so langsam verliert auch Haniel, der für die Ruhrindustrie so ruhmreiche Name des Duisburger Unternehmers Franz Haniel, den Bezug zum Bergbau.
Unter Tage ist jetzt Ruhe eingekehrt, dafür ist auf der Halde viel los. Tausende nutzen den Tag für eine Pilgerreise mit dem Ruhrbischof und der Ehrengarde Prosper-Haniel zum Haldenkreuz. Es steht auf einem vorgelagerten Plateau nicht unweit der „Totems“ und der sogenannten Bergarena. Dieses Amphitheater besticht als spektakulärer Ort für kulturelle Großveranstaltungen, etwa für Opern wie Wagners „Der fliegende Holländer“ und Verdis „Aida“. An anderen Tagen ist es wunderbar für eine Verschnaufpause.