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Im Dezember 2022 übertrug das Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) in Köln seine 92 Benin-Bronzen an Nigeria. Während das Gros der Kunstwerke in die Obhut des afrikanischen Staates übergeben wird, sollen einige Plastiken als Leihgaben in Köln bleiben. Der Kulturkenner hat vor einiger Zeit mit der RJM-Direktorin Nanette Snoep über die Zukunft der Ethnologischen Museen und den schwierigen Umgang mit der europäischen Kolonialgeschichte gesprochen. Unser Interview gibt es hier nochmal zum Nachlesen.
Frau Snoep, als Direktorin eines ethnologischen Museums gehen Sie mit Zukunftsfragen recht offensiv um. Auch in einer Ihrer jüngsten Sonderausstellungen, betitelt „RESIST! Die Kunst des Widerstands“. Dort wurde die Kolonialgeschichte erstmals aus der Perspektive der Kolonisierten beleuchtet. Warum haben Sie diesen Weg gewählt?
NS:
Es gab in der Vergangenheit mehrere Ausstellungen zur Kolonialgeschichte. Diese wurde aber immer aus einer eurozentrischen Perspektive erzählt. Ich bin überzeugt davon, dass es jetzt höchste Zeit ist, den Blick zu weiten und Betroffene oder deren Nachfahren erzählen zu lassen. Deshalb sollte die Ausstellung dem Widerstand der kolonisierten Menschen und ihren Geschichten Raum geben. Sie sollte ihre Stimmen, die bisher kaum gehört wurden, hörbar machen. Dazu haben wir auch in unserer eigenen Sammlung nach Objekten gesucht, die Rebellion, Verweigerung und Auflehnung gegen die Kolonialherren belegen.
Haben Sie viele solcher Objekte gefunden?
NS:
Obwohl ich mich seit Jahrzehnten mit Kolonialgeschichte beschäftige, habe ich bei der Arbeit an der Ausstellung noch ungeheuer viel Neues lernen können. Mir war überhaupt nicht klar, wie viele Stücke der Sammlung etwas über den Widerstand sagen.
Zum Beispiel?
NS:
Wir zeigten etwa einen kleinen Elfenbeinanhänger aus dem Kongo. Nachdem die Aufstände der ethnischen Gruppe der Pende gegen die belgische Kolonialherrschaft brutal niedergeschlagen worden waren, wurden ihre Masken verboten. Um das Verbot zu umgehen, haben sie die Masken in solche kleinen Anhänger umgewandelt – als ein geheimes Zeichen für den Zusammenhalt gegen die Kolonialmacht. Auch die Kostüme aus Guatemala, die wir in der Schau zeigten, haben ihre eigene Widerstandsgeschichte: In solchen Verkleidungen spielten die Menschen dort tanzend Eroberungsgeschichten nach. Allerdings so, dass die spanischen Kolonialherren nichts verstehen konnten.
Sie hatten auch über 40 zeitgenössische Künstler*innen und Kurator*innen aus dem globalen Süden nach Köln eingeladen, damit sie ihre eigene Sicht auf die Dinge und ihre Bedeutung offenlegen.
NS:
Ja, wir hatten Esther Utjiua Muinjangue und Ida Hoffmann, zwei Aktivistinnen aus Namibia, eingeladen, die ihren eigenen Raum in der Ausstellung kuratierten. Sie thematisierten darin den deutschen Genozid an den Herero und Nama und ihren eigenen erbitterten Kampf um dessen Anerkennung. Die nigerianische Künstlerin Peju Layiwola dagegen beschäftigte sich in ihrem Raum mit den brisanten Restitutionsdebatten rund um geraubte Kulturgüter aus dem ehemaligen Königreich Benin.
Wie sollen ethnologische Museen Ihrer Meinung nach umgehen mit ihren geraubten Schätzen aus kolonialen Unrechtskontexten? Welche Position nehmen Sie in der Rückgabe-Diskussionen ein, die im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren so heftig geführt werden?
NS:
Transparenz und Zugang zur Sammlung des Rautenstrauch-Joest-Museums sind sehr wichtig. Deshalb treiben wir auch intensiv die Online-Präsenz unserer Sammlung voran, so dass wirklich alle auf unsere Datenbanken zugreifen können. Außerdem suchen wir einen intensiven Austausch mit den Ländern, aus denen die Objekte stammen.
Sollten solche Stücke Ihrer Meinung nach generell zurückgegeben werden?
NS:
Man muss sich klar machen, dass der Kolonialismus ein Unrecht per definitionem ist, er hat immer in ungleichen Machtverhältnissen stattgefunden. Ich plädiere daher für eine Regelung, die in den Niederlanden bereits praktiziert wird: Wenn ein Objekt in der Gesellschaft, aus der es entnommen worden ist, bis heute wirklich vermisst wird, dann sollte das Museum es restituieren. Bei anderen Werken wären Übereinkünfte denkbar – ein Objekt könnte zum Beispiel in Europa bleiben und in das Ursprungsland reisen, wenn es dort gebraucht wird. Es geht hier um eine ethische Debatte und nicht um eine rein rechtliche Einordnung. Wir müssen das viel fluider betrachten und auf jeden Fall die Menschen aus den Herkunftsländern mitbestimmen lassen, auf welche Weise ihre Objekte in Europa präsentiert werden.