Im Porträt: Gerhard Richter

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Um ein Haar wäre der „weltweit bedeutendste Künstler“ – als solchen stuft ihn zumindest das Ranking „Kunstkompass“ seit 2004 ein, und zwar Jahr für Jahr – nicht in NRW gelandet. Ein Porträt über Gerhard Richter, den unfreiwilligen Superstar der Malerei.

Als Gerhard Richter gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau Marianne Eufinger, genannt Ema, 1961 aus der DDR flüchtet, spielt er zunächst mit dem Gedanken, sich in München niederzulassen. Doch der Düsseldorfer Bildhauer Reinhard Graner macht ihm die NRW-Landeshauptstadt und vor allem deren Akademie als Hotspot der Gegenwartskunst schmackhaft. Und tatsächlich stimmt er Richter um: Der damals immerhin schon 29-Jährige, der 1951 bis 1957 an der Kunstakademie Dresden studiert und erste Erfolge im DDR-Kunstbetrieb eingeheimst hat, entscheidet sich für Düsseldorf. Dort setzt er sein Studium bis 1964 fort. Dort inszeniert er im Oktober gemeinsam mit seinem Kommilitonen Konrad Fischer, damals Konrad Lueg, in einem Möbelhaus das Happening „Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“. Und dort lehrt er von 1971 bis 1993 als Professor für Malerei.

Am 9. Februar 2022 feierte Gerhard Richter seinen 90. Geburtstag. Düsseldorf und Köln, wo er seit 1983 lebt, ließen ihn mit eigenen Ausstellungen hochleben. Zudem gab es Präsentationen zum Jubiläum im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, seit 2006 Heimstatt des Gerhard Richter Archivs, und in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Ohnehin darf sich die Nationalgalerie, die bereits zahlreiche Werke des Meisters besitzt, geschmeichelt fühlen: Für das Museum des 20. Jahrhunderts, das nach einem Entwurf von Herzog & De Meuron bis 2026 am Kulturforum entstehen soll, hat die Gerhard Richter Kunststiftung - 2021 vom Künstler und seiner dritten Frau Sabine Moritz ins Leben gerufen - zusätzlich 100 Werke als langfristige Leihgaben zur Verfügung gestellt.

Malen hat mit Denken nichts zu tun, denn beim Malen ist das Denken Malen.
Gerhard Richter

Mit der Kategorie „Superstar“, in die Richter zweifellos gehört, ist das so eine Sache: Weshalb eigentlich wird Gerhard Richter seit Jahrzehnten als der wichtigste deutsche Künstler angesehen? Was macht seine Kunst so einzigartig? Gar nicht einfach, abseits landläufiger, aber oberflächlicher Kriterien wie Ausstellungsfrequenz oder Marktwert darauf eine Antwort zu finden. Zumal Richters Schaffen den Begriff der ‚Einzigartigkeit‘ durch kontinuierliche Metamorphosen zu sabotieren scheint. Sein Œuvre umfasst Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Objekte. Fotorealistisches und Abstraktes gehen ihm gleichermaßen virtuos von der Hand. Mal verwischt er in seinen Bildern alle konkreten Spuren, mal pflügt er die Farbe mit dem Rakel um, mal legt er Strukturen mit der Präzision eines Skalpells an. Landschaften, Stillleben und Porträts zählen ebenso zu seinem Themenspektrum wie Beispiele zeitgenössischer Historienmalerei. Nicht zu vergessen Editionen, Künstlerbücher, Kunst am Bau oder Kirchenfenster. Schließlich ein mit bemerkenswert-buchhalterischer Art geführtes Archiv, in dem die Genese jeder Arbeit minuziös protokolliert ist – der sogenannte „Atlas“, bestehend aus Fotografien, Zeitungsausschnitten und Skizzen.

Auf die eingangs gestellte Frage zurückkommend, mag man den außerordentlichen Rang von Gerhard Richter damit begründen, dass er sich wie kaum ein anderer ständig neu erfindet. Er ist ein Chamäleon, wie er gern von der Kunstkritik tituliert wird. Ein rastlos Suchender, der sich aber insofern treu bleibt, dass er mit jeder Facette seines Werks die Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst erweitert. Klaus Honnef, der Richter 1969 in Aachen die erste institutionelle Einzelausstellung einrichtete, spricht vom „Stilbruch als Stilprinzip“. Das klingt paradox, ist es wohl auch, trifft jedoch eine Haltung, die Richter bereits 1966 formuliert hat: „Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen. … Ich fliehe jede Festlegung, ich weiß nicht, was ich will, ich bin inkonsequent, gleichgültig, passiv.“

Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen.
Gerhard Richter

Wenn es so etwas wie geniale Inkonsequenz gibt, dann ist Gerhard Richter erster Anwärter für diese Kategorie. Gleichwohl wird sein Schaffen durch ein Leitmotiv grundiert. Gemeint ist der Aspekt des „Memento mori“. „Bedenke, dass du sterben wirst“, die auf das antike Rom zurückgehende Mahnung scheint durch zahlreiche Bilder Richters hindurch. Das beginnt bei den Werken „Erschießung“ (1962), „Sargträger“ (1962) oder „Tante Marianne“ (1965), setzt sich fort in der geradezu andächtig stimmenden Serie der „Kerzenbilder“ (1982/83) und findet seine Krönung 1988 im Zyklus „18. Oktober 1977“, der sich heute im New Yorker Museum of Modern Art befindet. Die 15 Tafeln, mit denen Richter an die Technik seiner grauen Fotobilder aus den 1960er-Jahren anknüpft, vergegenwärtigen den sogenannten „Deutschen Herbst“, vor allem die Terroranschläge der Rote Armee Fraktion und die Selbstmorde der inhaftierten RAF-Rädelsführer in Stammheim. Alles allzu Gegenständliche wird in diesen nach Fotos gemalten Bildern verschleiert. Doch hinter diesem Schleier offenbart sich die existenzielle Dimension des Daseins nachhaltiger, als dies in noch so drastischen Bildern des Todes geschieht.

Das Gerhard Richter Archiv ist den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden angegliedert.

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