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Marvin Wittiber ist freier Regisseur und Theatermacher aus Düsseldorf. Mit seinem nächsten Projekt, dem Theater-Intensivworkshop „Allein im Rosa Winkel“ widmet er sich der Verfolgung von Homosexuellen in Düsseldorf während der NS-Diktatur. Gemeinsam mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen will er künstlerische Wege finden, um sich auf die Spurensuche von queeren Lebensrealitäten im Nationalsozialismus zu begeben. Bis zum 15. Oktober können sich junge Menschen (auch ohne Vorkenntnisse im Bereich Theater) für den Workshop anmelden, an dessen Ende eine Abschlusspräsentation im Theatermuseum Düsseldorf steht. Welche Erfahrungen Wittiber zu der Idee für das Projekt inspiriert haben, an wen sich der Workshop wendet und welche Leerstellen er zu füllen wünscht, erzählt uns der Theatermacher im Interview.
Die Grundlage für das Projekt „Allein im Rosa Winkel“ ist kein leichter, aber ein umso wichtigerer Stoff. Wie ist die Idee zu dem Workshop entstanden?
M.W.:
Im Frühjahr habe ich einen Theater-Intensivworkshop am Jungen Theater Weimar, dem stellwerk, geleitet und gemeinsam mit queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum Thema queere Lebensrealitäten in Weimar und Thüringen gearbeitet. Der Workshop umfasste verschiedene Themenschwerpunkte, aber mir war sehr wichtig, auch einen Schwerpunkt auf die NS-Verfolgung zu legen. Das Theater liegt mit dem Bus nur 20 Minuten vom ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald entfernt. Diese Nähe zwischen dem Ort, an dem die Jugendlichen aufwachsen und leben und dem Ort, an dem so viel Schreckliches passiert ist, konnten wir nicht ignorieren. Deshalb haben wir an einem Workshoptag eine Führung durch die Gedenkstätte gemacht und wurden darüber aufgeklärt, dass die Forschung zur Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Zeit noch wenig aufgearbeitet ist. Es war eine krasse Erfahrung, mit ausschließlich queeren Menschen über das Gelände zu gehen und diese Geschichten zu hören. Das war so beklemmend und emotionalisierend und deshalb bin ich mit sehr viel Frustration aus Buchenwald zurückgekommen, weil ich mir dachte: Es kann doch nicht sein, dass es so wenig Informationen über die Verfolgung Homosexueller gibt. Mir war vollkommen klar, dass ich etwas zu dem Thema machen will. Als ich, zurück in Düsseldorf, meine Recherchen aufgenommen habe, fand ich schnell heraus, dass in keiner anderen westdeutschen Stadt wie in Düsseldorf die Homosexuellenverfolgung numerisch so groß war. Und das war natürlich ein absolutes Match.
Wie können wir uns den Workshop vorstellen und an wen richtet er sich?
M.W.:
Mich interessiert weniger, dass Menschen auf der Bühne stehen und in fremde Biografien schlüpfen (was sowieso schwierig ist, weil es fast nur Täterdokumente über die Verfolgten gibt), sondern ich habe in Weimar vielmehr gemerkt: Hey, es macht was mit mir, wenn ich junge queere Menschen heute sehe, die sich ins Verhältnis zu dem setzen, was damals gleichaltrigen potenziell queeren Menschen in ihrer Region passiert ist. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, das Projekt mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu realisieren. Mit ihnen zusammen möchte ich mich mit Biografien von jungen Menschen beschäftigen, die in einem ähnlichen Alter waren, als sie verhaftet und vernommen wurden. Was waren das für Menschen? Sind sie vielleicht in denselben Straßen großgeworden? Hatten sie ähnliche Interessen wie wir? Das ist es was mich interessiert: Die Biografien aneinanderzureiben, zu sehen, welche Spannungen sich daraus ergeben und das auf die Bühne zu bringen. Und natürlich hat das Workshopformat ein großes Potenzial, communitybasiert zu arbeiten, das beinhaltet auch politische, historische und kulturelle Bildung und es kann extrem empowernd sein, sich zusammen mit der eigenen Queerness und der queeren Geschichte der Vorfahren zu beschäftigen. Dabei richtet sich der Workshop aber nicht ausschließlich an queere Menschen, sondern an alle, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen.
Was kann man unter dem Konzept eines Theater-Intensivworkshops verstehen?
M.W.:
Für mich basiert der Workshop auf zwei Säulen: der theoretischen und der praktischen. Das klingt sperriger als es ist: Theoretisch bedeutet, dass wir uns Inputs holen, dass wir mit der Mahn- und Gedenkstätte zusammenarbeiten, Gäst*innen einladen, uns Filme anschauen und miteinander ins Gespräch kommen, uns die Akten anschauen, rausgehen, vielleicht Stolpersteine besichtigen, uns dem Thema also inhaltlich nähern. Der praktische Schwerpunkt ist: Wir machen Theater! Im Titel „Allein im Rosa Winkel“ wird ja schon deutlich, dass das Ziel der Nationalsozialisten die Zerschlagung und Vereinzelung der queeren Subkultur und Communities war. Für uns steht der oder die Einzelne im Mittelpunkt. Wir suchen also Leute, die Lust haben, Theater zu spielen und mit anderen auf der Bühne zu stehen. Dafür arbeite ich auch zusammen mit einer Theaterautorin, die mit den Teilnehmer*innen schwerpunktartig Texte erarbeiten wird und einem Musiker, mit dem wir die Musikalität der Texte und Stimmen erforschen werden.
Wie sieht die Vorbereitung/Recherchearbeit zu dem Thema aus?
M.W.:
Die Recherche funktioniert von zwei Seiten aus, nämlich Top-Down und Bottom-Up: Es gibt auf der einen Seite Material, das sich mit der Zeit und explizit mit der verfolgten Gruppe der potenziell queeren/homosexuellen Personen auseinandersetzt. Es gibt Forscher*innen, die dazu arbeiten, Literatur, Filme, Dokumentation und Theaterstücke, die uns davon berichten: Wie war die Zeit im Nazireich allgemein für queere Menschen? Auf der anderen Seite geht es uns ja explizit um die Verfolgung in Düsseldorf, weshalb wir eng mit der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte zusammenarbeiten. Die zentralen Verfolgungsdokumente sind die Gestapo-Akten aus dem Landesarchiv NRW, die wir zur Vorbereitung durchgearbeitet haben. Wir haben uns mit den Täterdokumenten mit Blick auf Jugendliche und junge Erwachsener auseinandergesetzt, um einen Überblick zu bekommen: Wer sind diese Menschen, die nach § 175 verfolgt wurden? Wie viele sind es? Wo kommen sie her?
Welche Ziele verfolgt der Workshop und gibt es schon perspektivische Anschlussarbeiten?
M.W.:
Wir verfolgen im Wesentlichen zwei Ziele: Das eine Ziel betrifft das Arbeiten mit den Teilnehmenden. Der Wunsch besteht darin, Licht ins Dunkel zu bringen und für das Thema zu sensibilisieren. Dass wir dort ansetzen, würober ich selbst so schockiert war – die Ohnmacht und Fassungslosigkeit darüber, wie wenig ich als queere Person über das Thema wusste. Die Leerstellen aufzuzeigen, aber auch das Wissen, das da ist, zu verbreiten. Und auf praktischer Seite hoffe ich natürlich, dass es einen Effekt gibt und sich die Teilnehmer*innen durch die Erfahrung, gemeinsam und alleine auf der Bühne zu stehen, gegenseitig in der Gruppe stärken. Ich veranstalte am Ende des Workshops ganz bewusst eine öffentliche Präsentation unserer Arbeit, weil ich das Thema ganz klar durch Agenda Setting in die Öffentlichkeit bringen will. In diesen Zeiten, in denen es Nazi-Aufmärsche auf CSD-Demonstrationen gibt und es ganz klar darum geht, queeren Menschen ihre Existenzberechtigung abzusprechen, zeigen sich ja – vorsichtig formuliert – klare Parallelen. Der Workshop soll der Auftakt für eine längerfristige künstlerische Auseinandersetzung meines Teams und mir mit diesem Thema sein. Was ist der Status Quo? Was können wir in Erfahrung bringen? Wie lässt es sich auf der Bühne verhandeln? Und davon ausgehend wollen wir in den nächsten Jahren künstlerisch daran weiterarbeiten.
„Allein im Rosa Winkel“
31.10. 18-22:00 Uhr und 01.-03.11. 10-16:00 Uhr Workshop im Probenraum Bertha-von-Suttner-Platz 1-3
03.11. 18:00 Uhr Abschlusspräsentation im Theatermuseum Düsseldorf.
Anmeldungen bis zum 15. Oktober an mail@marvinwittiber.de
Die Teilnahme ist kostenlos.