Enno Poppe mag´s gern kurz und prägnant. Zumindest was die Titel seiner Kompositionen angeht. So finden sich in seinem Werkkatalog etwa „Trauben“ und „Brot“, aber auch Ensemblestücke wie „Altbau“, „Öl“ und „Rad“. Nun kann man nicht unbedingt von den Titeln direkt auf die Musik schließen, schließlich ist Poppe kein imitierender Lautmaler. (Und wie soll überhaupt beispielsweise ganz genau „Brot“ klingen?) Dennoch verraten sie hier und da dennoch grob etwas von der Atmosphäre der hochpoetischen bis stilistisch nach oben offenen Klangräume Poppes. Das für zwei Synthesizerklaviere geschriebene „Rad“ besitzt etwas soghaft in sich Kreiselndes, „Öl“ kommt durchaus zähflüssig daher. Und während „Fett“ für großes Orchester in bisweilen konturlosen Akkordblöcken sich im Slow-Motion-Tempo voranschiebt, herrscht in dem aus elf Miniaturen zusammengesetzten „Schrank“ kunterbunte Unordnung – angefangen von überspannter Walzer-Seligkeit bis zum weltmusikalisch jammernden Cello.
Wie nah oder fern sich Titel und Komposition aber auch immer sein mögen, bei Poppe wird man stets auf ungewohnte, sich nie wiederholende Klangpfade gelenkt und mitgenommen. „Ich will etwas erleben, wenn ich Musik höre“, hat Poppe einmal zu seinem eigenen musikalischen Appetit und Anspruch gesagt. Genau dieses Erlebnis garantiert er nicht nur seinem Publikum, sondern immer auch den Interpreten. Als etwa 2020 die mit allen hundsgemeinen Handgriffen der Neuen Musik bewanderte Geigerin http://www.carolinwidmann.com/ mit Poppe dessen Violinkonzert „Schnur“ erarbeitete, lernte sie angesichts ungewohnter Spieltechniken ihr Instrument geradezu neu kennen.
Mit seinem unkalkulierbaren und somit staunenmachenden Spiel mit Erwartungen, Konventionen und Widerhaken gehört Poppe längst zu den angesagtesten Komponisten der Gegenwartsmusik. Die Liste seiner Auftraggeber und Mitstreiter könnte nicht prominenter ausfallen. Der 1969 im sauerländischen Hemer geborene Poppe ist genauso Stammgast auf den Neue-Musik-Festivals in Donaueschingen und den https://www.kulturforum-witten.de/kulturbuero/veranstaltungen-projekte/wittener-tage-fuer-neue-kammermusik/ wie auch bei den Salzburger Festspielen. Seine Werke werden von Weltorchestern wie der Los Angeles Philharmonic, dem Kölner https://www.musikfabrik.eu/ und dem Frankfurter Ensemble Modern gespielt. Und zu seinen Fans unter den Pultstars gehörten bislang Pierre Boulez, Susanna Mälkki und Peter Rundel. Wobei es den studierten Dirigenten natürlich immer wieder auch selber zum Taktstock zieht.
Schon früh ging Poppe nach Berlin, wo er heute nicht nur lebt und arbeitet. Hier studierte er auch bei den Altmeistern Friedrich Goldmann und Gösta Neuwirth, die ihn mit ihrem antidogmatischen Verständnis von zeitgenössischer Musik nachhaltig prägten. Nicht weniger wichtig für sein Klangdenken wurde zudem ein weiteres Studium u.a. der sog. „Algorithmischen Komposition“. Tatsächlich steckt nämlich hinter jedem seiner Werke ein streng durchdachter und konstruierter Bauplan, der sich nicht selten aus einem kleinen Motiv, einer winzigen Tongedanken-Zelle entwickelt. Poppe: „Es geht immer darum, Startbedingungen zu finden, von denen ausgehend eine Fülle von Ideen, Überraschungen und Umwegen möglich sind. Ich will bei der Arbeit von mir selbst überrascht werden, sonst könnte ich nicht ein halbes Jahr an einem Stück arbeiten.“ Dabei kann es dann durchaus passieren, dass sich der bekennende Rock-Fan schon mal – wie bei seinem Hammond-Orgel-Stück „Arbeit“ – vom Geist der Kultband Deep Purple inspirieren lässt. Auch so kann Neue Musik zum Abenteuer werden.