Mit Anfang 60 erhält sie die Diagnose. Es besteht nun kein Zweifel mehr: https://www.claudiaschreiber.de Claudia Schreiber ist an Alzheimer erkrankt. "Mein Leben lang war sie vermutlich die klügste Frau, die ich kenne", sagt Lukas Sam, der jüngere ihrer beiden Söhne. Ihre Karriere hatte Claudia Schreiber als Journalistin begonnen und später mehr als zehn zum Teil sehr erfolgreiche Romane und Kinderbücher verfasst. Nun, da ihre Krankheit bereits deutliche Symptome zeigte, fasste die Kölner Autorin gemeinsam mit ihrer Familie den Entschluss, sich einen letzten großen Traum zu erfüllen: Sohn Lukas Sam hat Claudia begleitet auf die Reise ans andere Ende der Welt. Auf die winzige Insel Aitutaki im Südpazifik. Unterwegs führten die beiden viele Gespräche, und oft lief das Aufnahmegerät mit. Wesentliche Fragen kommen zur Sprache: Was hätte ich anders machen sollen in meinem Leben? Was macht mich zu der Person, die ich bin? Wer darf entscheiden, wie ich sterbe? Das Tonmaterial hat Lukas Sam veröffentlicht im Podcast "Aitutaki Blues", der jetzt für den renommierten https://www.kulturwest.de/inhalt/reportagen-fuers-ohr-und-geschichte-als-posting Grimme Online Award nominiert wurde. Über seine Mutter und die gemeinsame Arbeit erzählt er im Gespräch mit kulturkenner.de
Kulturkenner: Eine letzte Reise mit der schwer erkrankten Mutter – wie kommt man darauf, aus diesem Unternehmen einen Podcast zu machen?
Schreiber: Als ich Kind war, haben wir in Moskau gelebt, mein Vater war damals als Journalist in Tschetschenien und im Kosovokrieg unterwegs. Meine Mutter hat die ganze Zeit Bücher geschrieben. Wir sind eine stark publizierende Familie. Deswegen war das relativ schnell klar. Als die Entscheidung fiel, dass wir auf die Reise gehen, war die zweite oder dritte Frage meiner Mutter: Junge was machst du denn daraus? Nach dem Motto: Du reist doch nicht an das andere Ende der Welt, ohne danach eine Geschichte zu veröffentlichen.
Kulturkenner: Warum Podcast?
Schreiber: Meine Mutter hat wohl zuerst an ein Buch gedacht. Aber mein Handwerk ist es, Podcasts zu produzieren. Zusammen mit Kollegen betreibe ich eine Agentur. Ich habe Claudia sozusagen auf den Podcast heruntergehandelt.
Kulturkenner: Ihre Mutter erzählt von ihrem Leben, von Gefühlen, die sie nun quälen, von Ängsten. Sie sprechen über den Tod. Alles sehr persönliche Dinge. Haben Sie bei der Arbeit irgendwann einmal an dem Vorhaben gezweifelt, womöglich aus Scheu, das alles öffentlich zu machen?
Schreiber: Eigentlich nicht. Gezögert habe ich vielleicht, weil es manchmal ziemlich hart war, einen Umgang mit der Krankheit meiner Mutter zu finden. Auch weil wir beide ein sehr enges Verhältnis zueinander haben. Es war auch schwierig für mich, die O-Töne bei der Auswahl und beim Schnitt immer wieder anzuhören, daher kamen vielleicht auch schon einmal Zweifel.
Kulturkenner: Und Ihre Mutter? War sie sich immer sicher?
Schreiber: Claudia hat als Autorin viele Menschen, vor allem Frauen, interviewt. Die haben ihr so vieles anvertraut. Bevor wir mit dem Podcast begonnen haben, hatten wir ein Gespräch, in dem sie sagte, dass nun sie selbst an der Reihe sei, sich nackt zu machen. Wenn ich jetzt kuschen würde, habe ich da gedacht, dann wäre das sehr schwach. Denn ich habe ja das kleinste Problem.
Kulturkenner: Während Sie unterwegs waren, ist dann immer wieder das Aufnahmegerät gelaufen. Hat das die Reise geprägt?
Schreiber: Nein, das würde ich nicht sagen. Das lief eher nebenher. Die Gespräche mögen manchmal etwas einstudiert wirken, aber so reden wir immer miteinander.
Kulturkenner: Wie ist aus diesen Gesprächen ein Podcast geworden?
Schreiber: Das ist ja mein Job, mit O-Tönen eine Geschichte zu erzählen. Ein Problem war allerdings, dass sich ganz viele der O-Töne wiederholt haben. Das ist ja Symptom der Krankheit, dass Claudia sich kaum daran erinnert, was sie bereits gesagt hat. Ich musste mir dann die Stellen merken, wo sie etwas vielleicht besonders schön oder treffend formuliert hat.
Kulturkenner: Gefällt ihrer Mutter das Ergebnis, wie hat sie den Podcast aufgenommen?
Schreiber: Sie musste den Podcast in einem Sitting hören, damit sie ein Gesamturteil abgeben kann. Deshalb habe ich Claudia im Verlauf zwar immer wieder hineinhören lassen, am Ende aber habe ich ihr Kopfhörer aufgesetzt und ihr alle sieben Folgen vorgespielt. Da saßen wir gemeinsam bei ihr zuhause auf dem Balkon. Sie fand es fantastisch.
Kulturkenner: Und welche Reaktionen haben Sie von den Hörern des Podcasts erfahren?
Schreiber: Besonders gefreut hat mich die E-Mail von einer Pflegekraft, die seit elf Jahren mit Demenzerkrankten arbeite, wie sie schrieb. Erst durch den Podcast habe sie wirklich verstanden, wie diese Menschen sich fühlen. Das fand ich wirklich, wirklich schön. Alle Reaktionen, die in diese Richtung gehen, haben mir sehr gutgetan.
Lukas Sam und Claudia Schreiber: »Aitutaki Blues - Die letzte Reise mit meiner Mutter und Alzheimer«. Erschienen bei https://www.audible.de/pd/Aitutaki-Blues-Die-letzte-Reise-mit-meiner-Mutter-und-Alzheimer-Original-Podcast-Hoerbuch/B093X91FWX?qid=1653471100&sr=1-1&ref=a_search_c3_lProduct_1_1&pf_rd_p=e54013e2-074a-460e-861f-7feac676b789&pf_rd_r=MMF4HCD77P6DYGHSSGZ3
Hier gibt es mehr Infos zum https://www.grimme-online-award.de Grimme Online Award und zum https://w1.grimme-online-award.de/goa/voting/ext_voting.pl Publikumspreis
Im Herbst 2022 veröffentlicht Lukas Sam Schreiber ein Buch zum Podcast.
