Der Unterhaltungs-Künstler David J. Becher

BühneComedy

Na, denn also mal los. „Ich bin Justus Jonas“, sagt der Mann mit der Schiebermütze und dem wattierten Bauch und schon gibt er die Speisekarten herum. Denn ab jetzt gibt es Eis. Sehr viel Eis. Fast vier Minuten lang. Aus dem Off ist ein kleiner Junge zu hören, der dann aufzählt: Bananensplit und Himmelblau, Sahne, Amarena Kirsch und Schoko-Vanille-Haselnusscreme. Oder wie wäre es mit Pfefferminz, Malaga, Snickers, Zimt oder Mango mit Schokosauce oder Likör? Synchron bewegt „Doktor Thomas“ seine Lippen zu der Kinderstimme, während sich im Hintergrund David J. Becher mit einer gelben Elvisperücke auf dem Kopf genüsslich Eiscreme ins Gesicht schmiert und zwei Gäste an einem Tisch vor sich hinqualmen. „Das VPT interpretiert: Alle Eissorten der Welt“, heißt das Video, das sagenhafte 54.132 mal angeklickt wurde. Und zeigt: Wer auf YouTube einen Hit landen will, braucht keine durchgestylten Filmsets.

Seit fast 25 Jahren kultiviert das Wuppertaler Vollplaybacktheater das, was man die Schönheit unperfekter Unterhaltung nennen könnte: David J. Becher hat an diesem Morgen mit Britta Lemon und Sven Blievernicht in den gleichen Räumen wie damals beim Videodreh Platz genommen, im Café Hutmacher der Utopiastadt, aber sein Outfit ist ganz anders. Zwar schmiegen sich auch diesmal wieder Gummihaare an den Kopf. Aber der weiße Rollkragenpullover, auf dem sich einst die Eiscreme ausbreitete, ist einem weißen Ganzkörperanzug mit Kinderknieschonern und Feinrippunterhose gewichen. Daneben: Silber besprühte 80er-Jahre-Tornister für die Sauerstoffversorgung und weiße Motorradhelme für den anstehenden Flug ins All. Auf einer silbrig-glänzenden Weste mit Tupperdosenapplikation prangt zudem ein Symbol für zuverlässigen Bühnenerfolg seit fast 25 Jahren: „VPT“ steht für tausende Fans, für perfektes Timing und spontane Pointen.

„Helden der Galaxis“ heißt eines ihrer Stücke, in dem Britta Lemon, Sven Blievericht und David J. Becher mit drei weiteren Ensemblemitgliedern durch den deutschsprachigen Raum touren. Eigentlich. Denn verschoben wurde die lange gebuchte Reihe an Auftritten durch Corona nun auf 2022. Aber was ist ein Vollplaybacktheater eigentlich? Ein Sammelsurium aus 70er- und 80er-Hörspielen und Filmen wie den Drei ???, aus John Sinclair, Star Wars, Star Trek, Barbarella, der Muppet Show oder Alf. Aus Filmschnipseln und Musik, aus dem aberwitzige Geschichten entstehen. „Helden der Galaxis“ ist als Liebesgeschichte im Weltall angelegt, in der Außerirdische die Welt bedrohen und Alexander Gerst zum intergalaktischen Fensterputzer wird.

David J. Becher hat zwar schon mit 15 Jahren als Oliver Twist im Wuppertaler Opernhaus auf der Bühne gestanden, gespielt und gesungen – und würde sich trotzdem niemals als Schauspieler bezeichnen. „Ich bin Unterhaltungskünstler, denn gelernt habe ich den Schauspieler-Beruf nicht und viel zu großen Respekt davor.“ Was er liebt, ist das Spielen zwar mit festgelegten Settings und Abläufen – aber dennoch ohne Grenzen. „Richtig fertig sind unsere Stücke eigentlich erst zur Dernière“, sagt Britta Lemon, die nicht zuletzt die überbordenden Outfits des Ensembles entwirft. Ihr Fundus? Vor allem Flohmärkte.

Auf dem riesigen Dachboden einer alten Druckerei hat die Künstlerin Eilike Schlenkhoff, die zeitweise Britta Lemon auf der Bühne vertritt, nicht nur ihr Atelier. Zwischen Styropor-Zahnrädern, "VPT"-Plakaten und Star-Trek-Büsten lagern auch die witzigen Installationen von „SupaKnut“, der überhaupt erst die Idee zum Hörspielrecycling hatte und einmal im Jahr für wenige Wochenenden rund um die Utopiastadt den wohl phantastischsten Mini-Golf-Platz Deutschlands betreibt: das „Sommerloch“.

Das Schöne ist, dass wir wie Stefan Mross Trompete spielen und dabei gleichzeitig lachen können.
David J. Becher

„Eigentlich wollten wir beim Wuppertaler Theatersommer 1997 nur drei Vorstellungen spielen.“ Heute geht das Vollplaybacktheater mit zehn Leuten auf Tour – 40 bis 60 Tage im Jahr. Allein im neuesten Stück sind satte 42 Rollen auf sechs Leute verteilt.

Dass das Eis-Video damals in der Utopiastadt gedreht wurde, ist natürlich kein Zufall: David J. Becher lebt schräg gegenüber von einem der wohl größten und ambitioniertesten Stadtentwicklungsexperimente in NRW. „Angefangen hatte alles 2011 mit Co-Working-Spaces, die dem leerstehenden Mirker Gründerzeitbahnhof neues Leben einhauchen sollten“, sagt Becher, der eines von drei Vorstandsmitgliedern des Fördervereins ist, den er 2013 mitgegründet hat. Der Verein ist wiederum Gesellschafter der Utopiastadt, deren Gelände inzwischen auf 40.000 Quadratmeter angewachsen ist, nicht nur, „um es vom Markt zu nehmen, vor Investoren zu sichern“, sondern eben selbst zu entwickeln: für Urban Gardening, Food-Sharing, einen Fahrrad-Verleih, Konzerte, Ausstellungen und bald sogar Übernachtungsmöglichkeiten für Künstler*innen.

1882 war der Mirker Bahnhof an der »Wuppertaler Nordbahn«, deren Ziegel-Viadukte bis heute das Stadtbild prägen, eröffnet worden. Damals noch auf der grünen Wiese, da die Stadt noch nicht so weit die Hügel heraufgewachsen war. Als zweiter Hauptbahnhof, als Konkurrenz zur Eisenbahnstrecke im Tal. Mitte des 20. Jahrhunderts verlor die Strecke dann immer mehr an Bedeutung, zuletzt pendelten Triebwagen, 1991 wurde sie endgültig stillgelegt. Das Bahnhofsgebäude stand leer, später zogen eine Arztpraxis und eine Tanzschule ein. Die Bahnsteigüberdachung und die Gleise wurden entfernt. Der Mirker Bahnhof blieb übrig, ein Randgebiet mitten in der Stadt – und eine große Chance gesellschaftlichen Miteinanders.

„Wir sind sozusagen Gemeinwohllobbyisten in einem Weltvergesserungslabor“, sagt David J. Becher und lacht – dazu passt das, was er allein im ersten Lockdown auf die Beine gestellt hat. Kaum war die „VPT“-Tour Mitte März 2020 unterbrochen, legte er nur wenige Tage später los: Auf dem Internetsender https://stew.one interviewte er wochenlang in seiner eigenen Talkshow „Dem lieben J. sein Morgengruß“ Wuppertaler Kulturschaffende. Um ihnen ein Forum zu geben.

Alle aktuelle Tourdaten gibt es hier www.vpt-show.de

Text
Annika Wind
Film/Foto
Markus J. Feger

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