Wie filtert man aus rund 130 000 Objekten sämtlicher Epochen und Gattungen die sehenswertesten Werke heraus? Welche Stücke der Sammlung erhalten Zutritt zur streng limitierten Auswahl (die Zahl 800 bildete die Obergrenze)? Und was muss (zunächst) draußen bleiben? Mit solchen Fragen haben sich Felix Krämer, Direktor des Kunstpalastes, und seine beiden Kuratorinnen Felicity Korn und Westrey Page in den vergangenen drei Jahren beschäftigt. Die Antwort gibt der neue Rundgang, der die Geschichte der Sammlung (und der Kunst) so kurzweilig rekapituliert, dass es eine Lust ist, durch die 49 Räume zu flanieren.
„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus“: Ob das Goethe-Zitat dem Kurator*innen-Trio als Maxime gedient hat? Jedenfalls passt es perfekt zur neuen Entdeckungstour am Ehrenhof, die den Sammlungs- und den Ausstellungsflügel zusammenführt. Die Fassaden des im Stil des Backstein-Expressionismus gehaltenen Gebäudes lassen vom Umbau durch das Büro Sieber Architekten kaum etwas erahnen. Um so größer sind die Veränderungen im Inneren: Hier ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben.
Als Roter Faden des Rundgangs dient die Chronologie. Abgesehen davon waltet in den Räumen, deren unterschiedliche Farbigkeit wohltuende Akzente setzt, maximale Flexibilität. Mittelalterliche Madonnen treffen auf Buddhafiguren. Malerei und Design pflegen gutnachbarliche Beziehungen. Ein Boro-Kimono ist in Tuchfühlung mit einem Gemälde von Max Liebermann gebracht. Und ein großformatiges „Erdtuch“ des derzeit auf dem Kunstmarkt enorm angesagten ghanaischen Künstlers El Anatsui tritt in einen Dialog mit der Himmelfahrt Mariä von Peter Paul Rubens, die zu den Spitzenstücken der Gemäldegalerie zählt.
Das sind nur einige wenige der Korrespondenzen, die Krämer und sein Team mit Sinn für Wahlverwandtschaften und für Überraschungen in Szene gesetzt haben. Zwanglos bewegt man sich in der Dauerschausammlung des Kunstpalastes vom Mittelalter bis zur Gegenwart, erhält en passant Einsicht in Weltreligionen und -kulturen und erlebt die Wende vom Gegenständlichem zum Abstrakten in der Malerei als harmonischen Übergang. So wächst zusammen, was das Trio in den Räumen platziert hat: Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen, Design- und Porzellan-Objekte, Installationen und Zeitbasierte Medien.
„Ein Museumsbesuch soll nicht nur Erkenntnisse vermitteln und neue Eindrücke hinterlassen, sondern auch Spaß machen!“, sagt Felix Krämer – der 51-jährige Palastvorsteher ist seit 2017 im Amt und hat seinen Vertrag kürzlich vorzeitig bis 2034 verlängert. „Damit das Gesamterlebnis stimmt, braucht es mehr als gute Ausstellungen – das fängt bei der Hausordnung an und endet bei der Speisekarte des Restaurants.“
Spaß macht der Abstecher im neuen Kunstpalast nicht nur jenen, die auf gehobene Kulinarik Wert legen – das neue Café-Restaurant Anna-Maria bietet zudem einen wunderbaren Panoramablick auf die Tonhalle. Spaß sollen vor allem die Kinder haben. Ihnen gibt Krämer das Kommando, zumindest stellenweise, nämlich in jenen Kinderräumen, die als „Rhino Palast“ bezeichnet werden. Kleine Türen mit niedrigplatzierten Klinken signalisieren, welche Zielgruppe hier angesprochen wird. „Niedrigschwellig“, das aktuelle Modewort der Kulturszene, hier wird es in die Praxis umgesetzt.
Das Innere hat der Illustrator Christoph Niemann als Erlebniszone gestaltet, die mit Perspektiven, Größenverhältnissen und Bewegung spielt. Im „Rhino Palast“ erwartet das junge Publikum beispielsweise ein Füllfederhalter, der Treppen malt. Oder ein Tunnel aus flirrenden Lichtpunkten. Laut Aussage des Kunstpalastes ist man das erste Kunstmuseum, das Kinderräume direkt in seinen Sammlungsrundgang integriert. Ein Tipp auch für Erwachsene. Älteren Semestern, die sich nochmals ganz jung fühlen möchten, sei derweil die rekonstruierte Sixties-Disco „Creamcheese“ empfohlen. Werke von Günther Uecker, Gerhard Richter, Daniel Spoerri und anderen Künstlern wecken Erinnerungen an eine ferne Vergangenheit, die sich ihren aufmunternden Spirit bewahrt hat. An der Theke von Heinz Mack geht das Gespräch über Kunst garantiert leichter von den Lippen als in jedem Hörsaal.