Im Porträt: Der Bariton Georgios Iatrou

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Das Kunstlied und die Oper sind seine Leidenschaften. Der griechische Bariton Georgios Iatrou kam wegen des Studiums nach NRW. Er sang große Partien an vielen Häusern und war am Aalto Theater in Essen engagiert.

Die Nachbarn sind sehr nachsichtig. Müssen sie auch, wenn Georgios Iatrou in seiner Altbauwohnung in Essen eine neue Partie studiert. Wuchtig breitet sich die kraftvolle Baritonstimme im Raum aus. Gerade steht die Titelrolle aus Carl Orffs „Prometheus“ an. Iatrou schreitet im Raum auf und ab, lässt die endlosen antikisierenden Psalmodien mächtig klingen. Von einem Bild über dem Esstisch aus schaut die ewige Diva Maria Callas ihm dabei immer über die Schulter.

Den Prometheus bereitet Iatrou für ein Gastspiel in Bayreuth vor. Eine typische Rolle für einen Bariton – der Titan, der sich gegen Göttervater Zeus stellt. „In der Oper ist der Bariton meistens der aggressiv männliche, machtbewusste, oder der Böse“ . Seine erste Hauptrolle sang Iatrou während seines Studiums an der Hochschule für Musik und Tanz Köln (HfMT) am Theater Aachen: „Albert Herring“ in Benjamin Brittens gleichnamiger Oper. Das Plakat hängt noch etwas versteckt in einer Zimmerecke. Eine große Rolle – und vor allem eine Tenorpartie, eine hohe noch dazu.

Tatsächlich hat Iatrou sein Studium als Tenor begonnen. „Ich habe die Höhe, aber sie kostet mich sehr viel Kraft beim Singen.« Es blieb zuwenig Energie für die künstlerische Gestaltung. „Baritonale Schmelz“ wurde dem Sänger auch in der hohe Lage schon attestiert. Iatrou beschloss ins tiefere Fach zu wechseln, wo er seine Stimme deutlich besser entfalten und entwickeln kann. Die Rollen, die er spielte, hinterließen allerdings ein schales Gefühl. „Ich merkte, dass auf der Bühne immer nur eine Hälfte von meiner Persönlichkeit stand.“ Die andere Seite war verdrängt und musste raus. Bevor daraus eine echte Krise wurde, erschuf Iatrou sein alter Ego Nina Naï.

Jetzt stand neben den ganzen Übermännern – den Don Giovannis, Escamillos und Eugen Onegins – eine Überfrau. Iatrou tauchte in die Welt des Drag ein und erarbeitete sich mit großem Eifer alle Fertigkeiten, die es für die Verwandlung braucht, selbst. Der hohe künstlerische Anspruch, den er beim Gesang an sich stellt, gilt auch genauso für deine Drag-Persona: Sasha Velour nennt er als Vorbild. Sie gewann die neunte Staffel der amerikanischen Originalausgabe von „RuPaul’s Drag Race“ mit hochartifiziellen, ausgefeilten Konzeptperformances, die in der Drag Kultur einzigartig sind. Zwei Jahre lang arbeitete Iatrou an der Perfektionierung von Nina Naï. Dann waren die Fähigkeiten bei Make-Up, Körper- und Kostümdesign so weit, dass der nächste logische Schritt erfolgen konnte.

Ich habe meine beiden Leidenschaften verbunden und den Drag-Bariton erschaffen. Das ist ein neues Genre.
Georgios Iatrou

Zum ersten Mal trafen beide Persönlichkeiten im Film „Drauma“ aufeinander, den Iatrou 2020 selbst drehte. „Im Treibhaus“ aus Richard Wagners „Wesendonck Lieder“ bildet darin das Zentrum. Jener Gesang von den Pflanzen, die am falschen Ort in der Welt sind und nur im künstlichen Klima des Treibhauses überleben können, aus dem sie aber doch hinausdrängen.

Das Kunstlied liegt dem Bariton besonders am Herzen. Wagner und Richard Strauss, aber natürlich auch Franz Schubert oder Johannes Brahms. „Es ist schade, dass Liederabende kaum noch Aufmerksamkeit im Konzertbetrieb finden“, ist Iatrou überzeugt. Auch hier kann Nina Naï helfen. Kunstlied in Drag, das schafft eine Irritation, eine neue Aufmerksamkeit, auch bei einem Publikum, das sonst vielleicht nicht zu einem Konzert kommen würde, hofft Iatrou.

Website von Georgios Iatrou

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