Auf Zeitreise - in der Dauerausstellung des Ruhr Museum in Essen

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Auf dem Weg des Erzes durch die ehemalige Kohlenwäsche der Zeche Zollverein: In der Dauerausstellung des Ruhr Museum lässt sich eindrucksvoll die Geschichte des Ruhrgebiets erleben, von der Frühzeit bis in die Gegenwart.


Das Ruhr Museum ist ohne Vergleich. Denn es müssten sich dafür schon Naturhistorisches und Archäologisches Museum, Historisches Museum, Architekturmuseum und vielleicht auch Heimatmuseum zusammenfinden. Es ist ein "Hybrid-Museum", das Natur, Kultur und Geschichte zusammengebringt. Das Ruhrgebiet löst sich aus etablierten Mustern und Traditionen. Es ordnet sich neu und hat ein überwältigendes Haus, in dem die Suchbewegung zum Thema wird und Identitätsangebote geschaffen werden. Der Ort ist die erste Botschaft. Der Kubus des Ruhr Museums dominiert das von den Architekten Schupp und Kremmer entworfene und zum Weltkulturerbe geadelte Ensemble der Zeche Zollverein. Die ehemalige Kohlenwäsche ist ein riesiger Schrein, in dem die Geschichte des Ruhrgebiets sich in einer Kreisbewegung von der Gegenwart über die Erdzeitalter zur Gegenwart zurück entwickelt. Architektur, Einrichtung der Sortieranlage und Transportwege spielen in die Präsentation und Platzierung der 6000 Objekte (davon 1000 Leihgaben von 250 Leihgebern, nicht mitgerechnet das Archiv der 2,3 Millionen Fotografien) auf 5000 Quadratmetern hinein.

Durch ein orangefarben dämmerndes Treppenhaus, dessen Geländer sich wie ein glühendes Stahlband abwärts zieht, geht es von der obersten Ebene der Kohlenwäsche hinab zum Beginn des dreiteiligen Parcours: zum Kapitel "Gegenwart". Auf der 17 Meter-Ebene spaziert der Besucher zunächst durch eine beeindruckende Panorama-Fotostrecke von Straßen, Autobahnen, Halden und Brachen, von Wohnsiedlungen, Büdchen, Kirchen, Sportplätzen, Universitäten, Technologie-Zentren. Kästen mit Ruhrpott-Mineralwasser berichten vom Dreck oben und der Reinheit ganz unten; liturgisches Gerät erzählt von geschlossenen Kirchen; Pokale repräsentierten das Vereinswesen; Surfbretter und Taucheranzüge demonstrieren, was auf Halden und in Gasometern freizeitlich – neben dem Fußball – möglich ist. Hinter einer gläsernen Trennwand, in der Blattwerk grünt, um die These vom Artenreichtum im Ökotrop Revier zu stützen und den Wechsel von Umweltzerstörung und Renaturierung aufzuzeigen, ragen Dutzende hoher weißer Vitrinen. In diesem Erinnerungsraum für den Menschen, seine Sachen und seine Erfahrung hat auch die Natur Platz. Auch ihre Botschaften lassen sich lesen: in der versteinerten Spur eines Blitzes oder in den Jahresringen eines Baumes. Die "Gegenwart" des Reviers, das ist die gipserne Heiligenfigur italienischer Gastarbeiter, das Einweckglas, das man mit in den Luftschutzkeller nahm, um Babynahrung zu wärmen oder der Suppenteller, der auf dem Esstisch in Schieflage nur halb gefüllt werden kann, weil Bergschäden das Haus schräg gestellt hatten.
 
Reicher noch entfaltet sich die Aura der Dinge in der mittleren, zweiten Etage: den Vorratskammern des "Gedächtnis". Die Kabinette und Galerien wurden geschlagen aus den früheren Speichern für Kohle, Abraum, Wasser. Diese Lager setzen theatralische Kontrapunkte. Kostbare Exponate fügen sich in die raue Atmosphäre. Wundersam heben sich die antiken Torsi, Skulpturen, Büsten ab. Großartig die fossilen Funde, Gesteinsfragmente, der Milliarden Jahre alte Meteorit, die Tierpräparate, das Skelett des Mammuts, die Gehäuse der Meeres-Ammoniten aus der Kreidezeit, die – zum Blütenfeld geordnet – in einen Schlund gesenkt wurden. Neben der archäologischen, ethnologischen, geologischen Tiefenbohrung vollzieht sich der Prozess der Zivilisation. Er verläuft chronologisch entlang der Epochen der Vormoderne mitsamt ihren regionalen Besonderheiten: von den Franken und Sachsen und Römern über die Christianisierung und das mittelalterliche Leben, Renaissance, Humanismus und Aufklärung bis zum preußischen  Staatswesen. Im Ruhrgebiet fließen politische Strömungen, erdgeschichtlicher Status und landschaftliche Entwicklung so stark wie sonst kaum irgendwo ineinander.

Letzte Station, im dritten Geschoss abwärts: das Reservoir der "Geschichte" der jüngsten 200 Jahre, also der Montanindustrie. Mit einer erschlagenden Materialfülle an Zeugnissen, Gebrauchsgegenständen, Belegen, Dokumenten, verläuft der Hauptstrang über die 90-Meter-Sichtachse der Kohlenwäsche. Die Akte "Anfänge, Durchbrüche, Hochindustrialisierung, Zerstörungen & Wiederaufbau und Strukturwandel ab 1957" sind flankiert von Parallelstrecken. Zu sehen sind Lebensformen und Milieus im Wandel, die Krisen von Mensch und Natur, politische Umwälzungen – heillose Ideologie und  gesundende Gesellschaft. Die Statue von Alfred Krupp ragt aus dem Schatten hervor, die Stimme von Willy Brandt fordert einen blauen Himmel über dem Ruhrgebiet ein. Als Prolog dieses Schlussteils ist jenes Urelement ausgelegt, ohne das all dies so nicht (gewesen) wäre. Auf Schautischen – erinnernd an die Fließbänder der Kohlenwäsche – reihen sich die Energieträger der Karbonzeit: Exemplare von Kohle und Erz, aus jedem Flöz je ein Stückchen. Man steht mit Ehrfurcht vor dem gleißend schillernden Schwarz. Die Kollektion wirkt wie eine Kunstinstallation und ist damit ihrerseits Ausdruck des Strukturwandels der Region, die ihre Zukunft in der Kultur sucht.

Ruhr Museum

Gelsenkirchener Str. 181, 45309, Essen

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