Im Porträt: Overhead Project

KöpfeBühne
Es sind die Gegensätze, die sie lieben. Die sie vereinen – auf ihre Art. Denn die Ensemblemitglieder von Overhead Project aus Köln proben an diesem Vormittag zwar in einem Zirkuszelt in Köln – und sind doch so viel mehr als „nur“ eine Kompagnie, die sich auf Artistik und Unterhaltung versteht. Tim Behren macht mit ihnen das, was man Zeitgenössischen Zirkus nennt. Unverhofft poetisch, unverhofft tänzerisch – und manchmal voller Gefahr.

Nur wenige Zentimeter. Nicht mal eine Handbreit ist noch Platz zwischen Mijin Kim und dem Pauschenpferd, das von der Decke baumelt. 100 Kilogramm schwer. Mit seinen abgespreizten Holzbeinen wirkt es fast wie ein drohendes Objekt: Wer an diesem Morgen im „moment“, im ehemaligen theaterpädagogischen Zentrum TPZAK in Köln auf dem Boden des riesigen Zeltes Platz genommen hat, vergisst zwischenzeitig Luft zu holen. Immer wieder und wieder dreht das schwere Turngerät in der Kuppel seine Runden. Und mit jedem Windhauch, der dadurch entsteht, wird die physische Kraft spürbar. Da sind viele, viele Kilos in der Luft unterwegs. Und scheinbar mühelos thront obenauf die zarte Mijin.

Ja, auf den ersten Blick mag das, was sie da tut, wie eine Zirkusnummer wirken. Eine junge Frau, die scheinbar wie eine Reiterin durch die Lüfte turnt. Und dennoch hat dieses Duett zwischen dem tonnenschweren Gerät und der Tänzerin noch so viel anderes zu bieten als Nervenkitzel und Unterhaltung: Wie sie die Masse an Gewicht scheinbar mühelos kontrolliert – diese junge, zarte Frau wirkt stolz und präsent.

Ist das als politisches Statement zu verstehen? Tim Behren findet das durchaus. Denn auch das unterscheidet seine intensiven Inszenierungen von klassischem Zirkus: oft werden in ihnen Kontroversen, Machtverhältnisse, Geschlechterrollen und Körperbilder verhandelt. „Neuer Zirkus ist ein Genre zwischen Kunst und Unterhaltung, zwischen Aufbruch und Tradition, zwischen Körperlichkeit und zum Teil tagesaktuellen Themen“, sagt Behren. In der Trilogie „Geometrie und Politik“ etwa hinterfragte er, wie unterschiedlich Räume auf uns wirken. Anders als in jeder klassischen Zirkusvorstellung beziehen Overhead Project ihr Publikum nicht einfach nur mit ein. Sie fordern es regelrecht heraus: Im Stück „Surround“ etwa hatte das schwere Pauschenpferd von der Decke gebaumelt, war aber nach und nach in Bewegung versetzt worden – um das Publikum in der Manege regelrecht vor sich herzutreiben.

Tim Behren ist zwar „nur“ Mijins Trainingspartner an diesem Morgen, schwingt sich mit auf das Turngerät, das er lenkt, leitet und „führt“. Und dennoch wird schnell klar, dass er auch so etwas wie das Zentrum all dieser Inszenierungen ist, der seine Projekte zwar im intensiven Austausch mit anderen und gemeinschaftlich entwickelt – aber mit sehr genauen Vorstellungen in Bezug auf Anspruch und Qualität. Allen Arbeiten gehen lange Recherchen voraus, an denen etwa der Mitbegründer und Akrobat Florian Patschovsky, der Komponist Simon Bauer, der Philosophen Eric Eggert, die Lichtgestalterin Charlotte Ducousso und die Dramaturgin Mirjam Hildbrand mitarbeiten.

Die Faszination für den Zirkus hat er schon seit seiner Kindheit. „Ich habe schon als ich klein war diese Atmosphäre des Zeltes geliebt“, sagt Behren, der in Tübingen aufwuchs, wie hier im Kölner „moment“ schon als Kind zirkuspädagische Kurse besuchte. Und früh beschloss, selbst Akrobat zu werden – nach der Schule studierte er an der Ecole Supérieure des Arts du Cirque in Brüssel. Eine der renommiertesten Hochschulen in Europa für Zirkuskunst. Heute ist Behren Zirkusdramaturg und Choreograf. Er leitet das Circus Dance Festival in Köln, das jährlich maßgeblich im „moment“ stattfindet. Und er forscht weiter – nach den Grenzen und Möglichkeiten der darstellenden Kunst.

Zu den Proben von "Circular Vertigo" gibt es auch eine Multimedia-Story: http://story.kulturkenner.de/overhead-project

https://overhead-project.de

Text
Annika Wind
Fotos
Markus J. Feger

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