Das Landesjugend-Orchester NRW in der Stadthalle Wuppertal

MusikKlassik
Zwei Mal im Jahr treffen sich die rund 80 Musiker*innen des Landesjugendorchester NRW, um hochkarätige Konzertprogramme zu erarbeiten, mit denen sie dann im In- und Ausland auf Tour gehen. Im Fokus dabei: die gemeinsame Freude am Musikmachen. Das LJO NRW ist aber noch mehr – eine Kaderschmiede für den musikalischen Nachwuchs. Ein Flugsimulator für Jungprofis, mit dem sie das Leben als Berufsmusiker ausprobieren können – auf allerhöchstem Niveau.

Bei aller Freude über die wiedergewonnene Gemeinschaft verlieren die Orchestermitglieder aber nie ihr eigentliches Ziel aus den Augen: das Musizieren auf allerhöchstem Niveau. Manchmal ist es fast erstaunlich, wie reflektiert und abgeklärt die jungen Musiker*innen ihre Rolle und Ziele betrachten. Es sind „Jugendliche, die den größten Teil ihrer Freizeit mit Musik verbringen“, erklärt Rita Menke, die Projektmanagerin des LJO NRW.

Solange sie das Instrument in der Hand haben, stellen sie alles andere hinten an, professionell, leidenschaftlich, fokussiert.
Rita Menke, Projektmanagerin des LJO NRW

Das dies kein Lippenbekenntnis ist, merkt man schnell an diesem Vormittag in der Historischen Stadthalle in Wuppertal. Denn der Tag für die Jungprofis ist lang, sehr lang. Morgens schon gibt es eine erste Probe, danach ein Schulkonzert, bei dem einige Orchestermitglieder auch als Musikvermittler fungieren und über die gespielten Stücke sprechen.

Unterstützung bekommen Sie dabei von dem ebenfalls noch jungen Dirigenten Emanuel Dantscher, der das Schulkonzert leitet. Am Abend steht dann der argentinisch-italienische Dirigent Mariano Chiacchiarini am Pult. Gerade diese Abwechslung in der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Dirigenten und Dozenten ist essentieller Teil der musikalischen Förderung im LJO NRW. Neben dem Chefdirigenten Sebastian Tewinkeln sind es wechselnde Gastdirigenten sowie Mitglieder aus Profiorchestern, die in Satzproben wichtige Impulse setzen. „In den Arbeitsphasen merkt man oft, dass der Austausch mit den Profis alles noch mal auf ein ganz anderes Niveau hebt“, sagt Rita Menke.

Nach einer Pause samt gemeinsamem Mittagessen gibt’s ein bisschen Freizeit, bevor alle in Konzertkleidung auf der Bühne der historischen Stadthalle sitzen müssen. Es steht eine Licht- und Kameraprobe an, denn das Konzert zwei Tage später mit Werken von Strawinsky, Piazzolla und Mendelssohn ist nicht nur das erste vor Publikum seit mehr als einem Jahr, es wird als Konzertfilm auch mitgeschnitten. Dabei zeugt schon die Programmauswahl vom Selbstverständnis des LJO NRW. Denn mit Strawinskys „Pulcinella-Suite“ und Mendelssohns „Sinfonie Nr. 4“ haben die Nachwuchsmusiker*innen dieses Mal Werke erarbeitet, wie sie auch Profiorchester im Repertoire haben.

In jeder Arbeitsphase wird ein neues Programme einstudiert und anschließend aufgeführt. Dieses Mal ist es ein Konzert im prachtvollen Saal der historischen Stadthalle Wuppertal, in Nicht-Pandemie-Zeiten folgt auf eine Probenphase meist eine länger Tour, die die Jugendlichen regelmäßig auch zu Konzertreisen ins Ausland führt, in diesem Herbst zum Beispiel nach Brüssel mit einem Programm zum Thema „Weltreligionen“. Ältere Konzertprojekte sind zudem auf CD dokumentiert, aus 2017 etwa „Die Planten“ von Gustav Holst sowie die „Star Wars Suite“ des Filmkomponisten John Williams.

Doch zurück in die historische Stadthalle: Die Disziplin und Hingabe, mit der sich die Nachwuchsmusiker*innen der Arbeit bis in den Abend hinein widmen, ist beeindruckend. „Ich freue mich, dass wir wieder ein Stück weit mehr Professionalität haben, dass wir uns anstrengen und mehr konzentrieren müssen“, so erlebt Inas Al-Omari den Weg zurück in den musikalischen Alltag. Zwischen 14 und 21 Jahren sind die Mitglieder des LJO NRW und kommen aus allen Teilen Nordrhein-Westfalens. Manche kamen auf Einladung ins Orchester, weil sie wie Milan Boxberg Preisträger bei „Jugend musiziert“ waren. Andere haben ein Probenspiel absolviert, so wie Inas Al-Omari.

Seit 1969 gibt es das Orchester, das von Hans Josef Menke gegründet wurde: zunächst unter dem Namen „Rheinisches Jugendsinfonieorchester“, seit 1970 dann als „Landesjugendorchester NRW“. 2020 wurde das LSO also 50 Jahre. Und auch wenn die große Jubiläums-Sause den Corona-Restriktionen zum Opfer gefallen ist, ist der Klangkörper Teil einer langen Erfolgsgeschichte musikalischer Nachwuchsförderung. „Als das Orchester gegründet wurde, gab es noch wenig in diesem Bereich der Elitenförderung“, erinnert sich Rita Menke. „Wir geben den jungen Leuten heute die Möglichkeit sich auszuprobieren: Was möchte ich? Kann ich mir vorstellen, die Musik zu meinem Leben zu machen?“

Wie wichtig eine gut gemachte und institutionalisierte Nachwuchsförderung ist, wissen wir nicht zuletzt aus dem Sport. Doch ähnlich wie dort hat die Pandemie auch in der Musik einiges ins Wanken gebracht. Beim 17-jährigen Luca Spanier aus Krefeld zum Beispiel. Der hat in diesem Jahr sein Abitur gemacht und wollte eigentlich Geige studieren. Doch weil er erleben musste, dass viele Künstler*innen in der Krise allein gelassen und wenig wertgeschätzt wurden, hat er sich umentschieden und möchte nun „Ton und Bild“ in Düsseldorf studieren. Hier steht also etwas auf dem Spiel!

Bei Milan Boxberg indes ist der Fokus weiter klar auf den Berufswunsch Musiker gerichtet. „Als nächste Stufe kommt dann das Bundesjugendorchester, da bin ich auch schon angemeldet“, sagt der Kontrabassist, aber: „Vorher will ich noch ein bisschen beim LJO mitmachen, weil das die Leute sind, mit denen ich Spaß habe. Meine Freunde halt.“ Am Ende formuliert Rita Menke daher klar ihre Hoffnungen für die Zukunft: „Normalität, volle Konzertsäle, ein normal aufgestelltes Orchester ohne anderthalb oder zwei Meter Abstand und während der Probenphase sich ohne Maske begegnen dürfen, das ist der größte Wunsch!“

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