Das Junkerhaus in Lemgo: 
Lebenswerk eines Einsiedlers

KunstTourismus NRWLemgo
Außenseiter, Einsiedler, Sonderling: In Lemgo gibt es einen kulturhistorischen Schatz zu entdecken, in dem einst der Architekt, Maler und Holzbildhauer Karl Junker lebte.

Wer die Türschwelle des Junkerhauses in Lemgo überschreitet, betritt die Welt eines Kunsteremiten: Tausende ineinander verschränkte Zierleisten formen einen hölzernen Spinnennetzhimmel im Vestibül. Knorrige Äste ragen in den Raum hinein. Schnitzereien setzen sich von den Wänden ab. Ornamente wiederholen sich an jeder Ecke. Das Auge schweift von links nach rechts, um nach Ruhepunkten in dem sich offenbarenden Gliedergerüst zu suchen. Fündig wird es nicht. Die Übergänge sind fließend. Architektur, Plastik und Malerei verschmelzen hier – im strukturierten Chaos – zu einer Einheit. Was sich Karl Junker wohl dachte, als er sein Wohnhaus an der Hamelner Straße 36 im lippischen Lemgo Stück für Stück komplementierte, ohne je ein Ende zu finden?

Der Architekt, Maler und Holzbildhauer galt mit seiner Kunst, die einige Experten der Art Brut zurechnen, bei Nachbarn als Außenseiter, Einsiedler und Sonderling. Er lebte und arbeitete allein in seinem Künstlerhaus von 1891 bis zu seinem Tod im Jahr 1912. Bis heute gibt es Spekulationen darüber, was ihn letztendlich antrieb. War es die Sehnsucht nach Frau und Kind, für die er das Fachwerkhaus mit Backsteinsockel und quadratischem Grundriss konzipierte? Oder wollte er den Prototypen für ein schöneres Wohnen schaffen? Vor einiger Zeit befassten sich Symposien und Vorträge mit seiner Kunst. Können sie diese rätselhafte Welt entschlüsseln?

Einrichtungsgegenstände wie eine Werkbank, ein Gemäldestativ oder ein Regal fügen sich im Atelier und Arbeitszimmer des Erdgeschosses nahtlos ins Gesamtkunstwerk ein. Im ersten Obergeschoss ergänzen pointillistische Wand- und Deckenmalereien die unwirklich scheinende Szene. Sie stellen mystische und biblische Themen dar; strahlen Freude und Heiterkeit inmitten eines traumhaft wirkenden Wohn- und Schlafbereichs aus.

Reisende durchleben beim Gang durch die Räume einen Gefühlsschauer nach dem anderen. Die Eindrücke reichen von eingenommen und eingeschüchtert bis hin zu erstaunt und erhaben. Überall gibt es Neues zu entdecken. Mal ist es eine akzentuierte Fassadenkerbe im Salon, mal der Aufbau eines wunderschönen Sekretärs, der mit einem krönenden Architekturmodell das Prunkstück des Interieurs bildet.

Sein Kunststudium in München und eine zweijährige Italienreise verschafften Junker auf jeden Fall genug Inspiration, um ständig neue Formen zu finden. Für die Umsetzung griff er Elemente verschiedener Stilrichtungen auf, darunter geschwungene Linien und natürliche Konturen des Jugendstils sowie überzeichnete Formen und Farben des Expressionismus.

Ab 1962 nahm sich die Stadt Lemgo schließlich dem Nachlass als neue Eigentümerin an. Sie sanierte das Haus im Jahr 2004 und errichtete einen gläsernen Museumsbau mit nachgelagerter Ausstellungshalle hinter dem Ursprungsgebäude. Auch wenn die Neukonstruktion neben dem mit Pilastern und Gesimsen überdeckten Fachwerkgerüst etwas unscheinbar wirkt, sollten sich Gäste von dem Äußeren nicht täuschen lassen. Im Innern der Ausstellungshalle wird die Welt von Karl Junker weitererzählt: mit Ölgemälden, Skulpturen und Möbeln Junkers.

Wer das Junkerhaus und seine Sehenswürdigkeiten zudem einmal aus anderer Perspektive erleben möchte, hat in den Herbst- und Wintermonaten die Möglichkeit dazu, an einer abendlichen Taschenlampenführung teilzunehmen. Im Dunkeln erscheint die Außenseiterkunst Junkers wortwörtlich in neuem Licht.

https://museen-lemgo.de/junkerhaus/

Text
Maximilian Hulisz/Tourismus NRW

Die Alte Hansestadt Lemgo hat neben dem Junkerhaus noch weitere kulturelle Schätze zu bieten: Das rund zwei Kilometer entfernte Schloss Brake beheimatet seit 1989 das Weserrenaissance-Museum, das mit mehr als 600 Exponaten die Zeit zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg in Nord- und Westdeutschland in die Gegenwart holt. Gemälde, Skulpturen, Kunsthandwerk und Mode bilden das Streben nach Fortschritt und den Wunsch nach Wissen ab.

Zudem sehenswert ist der Marktplatz in der historischen Innenstadt. Dort können Entdeckende einen Blick auf das prunkvolle Rathaus mit dem kunstvoll verzierten Apothekenerker von 1612 werfen. Es gilt als eines der bedeutendsten Baudenkmäler der Gotik und Weserrenaissance in der Region.

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