Im Porträt: Christian Petzold

Film
Christian Petzold gehört zur "Berliner Schule", das bezeichnet eine Handschrift, einen Stil, eine Haltung zum Film. Seine Spielfilme tragen mehrfach Frauennamen wie "Yella", "Barbara", "Undine", Frauen stehen im Mittelpunkt der Geschichten, die immer etwas über Deutschland erzählen und die Gegenwart erhellen.

Im März 2013 wurde Christian Petzold mit dem Helmut-Käutner-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf ausgezeichnet. Die Jury erkannte in ihm dank seiner „Kunst, unbestechlichen Realismus mit psychologischer Tiefenschärfe zu verschmelzen“, einen „herausragenden Erben“ Käutners. Es waren dessen Desertationsfilme, „Unter den Brücken“ und „Romanze  im Moll“, die Petzold sah, als er in den frühen 80er Jahren in Berlin angekommen war. Filme gegen den Zeitgeist. Filme, die der Beständigkeit von Gefühl gegenüber nicht viel Vertrauen haben.

Seit dem Jahr 2000 mit dem Kinofilm-Debüt „Die innere Sicherheit“ hat Petzold neben Fernsehproduktionen acht Spielfilme – einer so gut wie der andere – gedreht: „Wolfsburg“, „Gespenster“, „Yella“, „Jericho“, 2012 den Silbernen-Bären-Gewinner „Barbara“, "Phoenix", "Transit" und zuletzt "Undine". Filme, in denen es um Erlösung und um das Unerlöste geht. Er verlange von seinem Metier, sagt Petzold, „dass man Filme macht, die etwas gesehen haben, was hier stattfindet. Filme zu machen, wie Alexander Kluge über Deutschland schreibt“.

Die Eltern Petzold kamen Ende der fünfziger Jahre als Flüchtlinge von „drüben“. Der Sohn wurde in Hilden geboren, wuchs auf in Haan in Hörnähe zur Autobahn. 1981 zog er zum Studium nach Berlin. Bei ihm leuchtet der Westen nicht. Er schickt versehrte Männer und Frauen wie Yella, Laura und Leyla in die Welt, lässt sie in Berlin, Stuttgart, Wolfsburg sein, aber kaum zuhause sein: außer in „Körperland“, wie er sagt. Im deutschen Film des kurzen tausendjähriges Reichs und seiner anschließender Kontinuität sah man „kein Licht und keine Sinnlichkeit“. „Wir können die alten Lieder nicht mehr singen“, sagt Petzold: „Es gibt keine Unschuld und Leichtigkeit mehr“ nach der Bruchstelle 1933/1945. Vorher schon. Petzold erwähnt den Weimar-Touch-Film „Menschen am Sonntag“, an dem auch Billy Wilder mitgearbeitet hat, bevor er ins Exil ging. Davon etwas wiederzufinden, sei nur in einem ganz kleinen Raum, einer Blase möglich. Intimität und „Regionalisierung“.

„Eine Erzählung braucht die Krise“, weiß Petzold, bedingt durch äußere Umstände oder innere Zustände. Sublim verbinden seine Filme das eine mit dem anderen. Musterhaftes Vorbild dafür, zusätzlich spannungsgeladen durch die persönliche Beziehung des Regisseurs und seines Stars, sind für ihn Roberto Rossellinis und Ingrid Bergmans „Stromboli“ und „Viaggio in Italia“. „In diesen beiden Filmen ist das ganze Kino enthalten.“

Petzold hat Gespür für Nuancen, Genauigkeit, Stimmigkeit. Etwas, das so oft fehlt bei uns. Jede Krise verlange eine andere Sprache und Form, ihr eigenes Tempo, bestimmten Rhythmus, bringe eine andere Körperlichkeit hervor, sagt Petzold. „Wie liebt man sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, was bewirken Region, Abstammung, Klasse, historische Situierung?“

Über Petzolds Filmen steht emblematisch: D wie Deutschland. In gewisser Weise sind es Heimatfilme, westdeutsche, ostdeutsche, gesamtdeutsche, gedreht in „Respektdistanz“, aber nicht ohne „von den Figuren infiziert“ zu werden. Da bleibt die Spur des Dokumentarischen lesbar – Petzold war Assistent von Harun Farocki und Hartmut Bitomsky –, auch in der filmischen Klarheit und ordnenden Komplexität.

Petzold ist ein Geisterbeschwörer der Gegenwart. In keinem seinen lupenreinen, offenen Filme („Man muss Reste lassen“) verdienen die Figuren den Namen Gespenster mehr als in „Yella“ und in  "Undine", die aus Phantomschmerz gemacht scheinen. Nina Hoss war mehrfach seine Protagonistin, Paula Beer folgt ihr nach. Sie gehe „durch die Filme wie durch ein Exil“, hat Petzold über Hoss gesagt. Wie Barbara, die gegen das Armselige der bereits zerfallenden DDR-Verhältnisse ein ästhetisches, moralisches, soziales und politisches Veto setzt. Sie stemmt sich gegen das System und sein Kollektiv, aber auch gegen den Talmiglanz des Westens mit seinen Rollenbildern. Systeme zum Einsturz oder wenigstens zum Tanzen bringen, gefällt Petzold.

Petzolds „Die innere Sicherheit« über die Spätfolgen des RAF-Terrorismus erzählt davon, dass das Gespenst der Freiheit ein Vampir ist. Eine Studie darüber, wie man zu dem wird, was man selbst bekämpft, über die Ausübung von Kontrolle, die Mechanik der Gewalt und familiärer Autorität. Für Petzold meint Autorität „Verfestigung und Macht“.

Petzold, einer der Protagonisten der „Berliner Schule“, ist ein höchst reflektierter Regisseur, kein naiver. Seine Filme sind auch Road Movies, gedreht von jemandem, der mit dem Rauschen der A 46 von Düsseldorf nach Wuppertal aufwuchs: Wir sehen Kreuzungen, Landstraßen, Autobahnen, Verkehrswege, Zugstrecken. Einst ein romantisches Motiv, zeigt das Unterwegs-Sein seiner Helden, dass sie sich an einem Punkt befinden, an dem sich die Richtung ändern könnte. Lebensentscheidend. Sie sind Reisende durch eine Gegenwart, deren Natur einen zur Tränen rühren kann und deren Asphaltdschungel aus Beton, Stein und Glas in Kälte klirrt. Alles ist möglich – Freiheit oder Untergang, Aufbruch und Sicherheitsverlust. Petzold: „Diese Schwelle interessiert mich immer.“

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