Im Porträt: Christian Dietrich Grabbe

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Er war ein Säufer, ein Verbalwüstling, ein Wertezertrümmerer. Und er starb früh. Heute wäre er wohl so etwas wie ein Pop-Literat. Also: eine Art Rainald Goetz des 19. Jahrhunderts. Damals wirkte sein Tun und Treiben höchst degoutant, vor allem in der Provinz, wo er lebte. Nur ein paar Künstlerkollegen wie Heine und Ludwig Tieck schätzten ihn: Christian Dietrich Grabbe.

Als Sohn des Zuchthausverwalters wurde Grabbe am 11. Dezember 1801 in Detmold geboren. Er schrieb vor allem Theaterstücke, aber was für welche! Sie sprengten die klassische Form der Einheit von Ort und Zeit, der sorgsamen dramatischen Entwicklung der Handlung. Sie boten mal eben hundert Rollen auf, sie waren zynisch, wild und dunkel. Und das in einer Zeit, da auf der Bühne gern die höchste Sittlichkeit verhandelt wurde. Schon Grabbes Erstling, den er als Gymnasiast schrieb, „Herzog Theodor von Gothland", war eine nihilistische Tragödie, in der Bosheit die Welt regiert. Das pubertär Düster-Maßlose wird Grabbe nie los.

Er studiert Jura in Leipzig und Berlin, bricht ab, versucht vergeblich, am Theater unterzukommen, kehrt, bereits alkoholkrank, nach Detmold zurück, wo er eine Art Gerichtsoffizier wird. Und fliegt raus, weil er mit Akten ein Feuerchen macht. In Detmold schreibt er „Don Juan und Faust", das einzige Stück, das zu seinen Lebzeiten (in Detmold) aufgeführt wird. Danach folgen Historiendramen um Kaiser Barbarossa, Heinrich VI. und Napoleon. Immer mehr löst sich die Form auf, man kann auch sagen: Sie wird moderner. Grabbes Zeitgenossen aber finden unerträglich, wie verhängnishaft anonym es bei ihm zugeht, wie nicht der Einzelne mehr zählt, sondern nur noch Massen.

Inzwischen hat Grabbe geheiratet. Eine entschieden falsche Frau, mit der er in halber Öffentlichkeit streitet und die er 1834 Knall auf Fall Richtung Frankfurt verlässt. Dort schreibt er „Hannibal“: „hinreißende Dialogpartien und hohle Kraftmeierei“ bescheinigt man diesem Drama über einen Scheiternden - bei Grabbe scheitern alle und alles, so wie er selbst dauerscheitert. Von Frankfurt aus zieht Grabbe als Dramaturg nach Düsseldorf zu dem damals weitberühmten Theatermann Karl Immermann - um sich alsbald mit ihm zu überwerfen. Ein zweites Mal schleicht er zurück nach Detmold, wo er sein letztes Stück verfasst, „Die Hermannsschlacht“. Held Hermann scheitert zwar nicht, er besiegt die Römer, doch zu mehr haben er und seine Germanen keine Lust. Lieber gehen sie einen saufen.

Ein Motto, dem Grabbe zeitlebens huldigte. Da der Dichter aber zugleich eine zarte Konstitution besaß, hielt das wüste Leben nicht lang. Bis zuletzt mit seiner Frau zankend, doch von seiner Mutter gepflegt, die ihm die Treue hielt, starb Grabbe am 12. September 1836 - an Alkoholismus; oder an Syphilis.

Wie das so ist, wurde er nach seinem Tod berühmt: als Dichter des Vormärz, also der oppositionellen Literatur vor der Revolution von 1848; als Vorläufer des Realismus; des Expressionismus; der – Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden – Absurden. Denn Grabbes bekanntestes und auch heute noch gern gespieltes Stück heißt „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“. Es ist eine höhnische Literatur- und Gesellschaftssatire, in der die ganze Welt nur Maske und Fratze ist. Wer das surreal-absurde Stück heute auf der Bühne sieht, glaubt kaum, dass es 1822 geschrieben wurde.

www.grabbe.de

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