Im Porträt: Angie Hiesl & Roland Kaiser

KöpfeKunst
Mit ihren Inszenierungen im öffentlichen Raum gehören Angie Hiesl & Roland Kaiser zu den wichtigsten Persönlichkeiten der situationsbedingten Kunst. Das Kölner Duo steht für eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und eine besondere Nähe zum Publikum.

Was heutzutage so schick „Intervention im Stadtraum“ oder „site-specific“ heißt, ist eigentlich ein alter Hut. Doch er wird zurzeit neu angepasst, weil die Stadt als Lebensraum wieder ein großes Thema ist. Eine der versiertesten Künstlerinnen, die immer wieder und von unterschiedlichen Standpunkten aus einen forschenden und fantasievollen Blick auf die Stadtwelt und ihre Bewohner wirft, ist Angie Hiesl. Für ein paar Tage verändert sie einen kleinen Teil dieser Welt und verwandelt so den Blick aufs allzu Gewohnte.

Seit 1975 lebt Hiesl in Köln. Dort studierte sie Elementaren Tanz an der Sporthochschule und trat ab 1984 in der stillgelegten und damals leidenschaftlich umkämpften Stollwerck-Fabrik auf. Einmal stieg sie die Außenmauern hoch, an Seilen gesichert, ein unbescheidenes, unverkrampftes, bewegtes Zeichen setzend. Damals begann die sprießende Freie Szene, sich ihre Räume außerhalb der Stadttheater zu erobern.

Danach hat sich Angie Hiesl nie wieder an ein Gebäude gebunden; sie blieb fortan bewusst im Freien, außerhalb von Black-Box-Bühnen – Brücke, Bahnhof, Zechenturm, Schwimmbad. Oder sie begab sich in rohe Innenräume. „Kachelhaut“ platzierte sie 1997 gemeinsam mit Roland Kaiser in die Waschkaue der Zeche Zollverein in Essen, wo heute das Choreographische Zentrum PACT seinen Sitz hat, immer noch mit Fliesen an den Wänden.

In Köln verlagerten sie die „Kachelhaut“ in einen hässlichen U-Bahn-Durchgang, wo nun der Menschenstrom plötzlich über Gras lief, einen Bach entlang. Der Trompeter Gerno Bogumil, wie Kaiser bis heute Teil des Hiesl-Teams, räumte in diesem falschen Paradies Kacheln hin- und her.

„Makadam“ fraß sich 2007 auf ein Brachengelände in Köln-Kalk. Ein Pferd schleifte einen Holzstamm ums große Karree, in einem Graben köchelte Teer, aus dem Loch einer kurzen Asphaltstraße staken ein Paar Frauenbeine. Auch eine unendliche Schar kleiner Autos quoll daraus hervor.

In „Dressing the City und mein Kopf ist mein Hemd“ belebten 2007 ein paar Tänzer das Areal des Ebertplatzes mit Klamotten. Sie belegten eine stehende Rolltreppe mit gemusterten Kleidern, stapelten ordentlich gefaltete Jeanshosen in Baumgabeln, hängten T-Shirts über Poller, hängten sich selbst samt Pullover an Stangen, Ampeln, Kästen. Als versuchten sie, die Stadt den Menschen anzuverwandeln, der grauen Nacktheit etwas überzuziehen, wodurch sie natürlich noch offensichtlicher wurde.

Die berühmte Installation „X-mal Mensch Stuhl“ von 1995 wurde seit damals in 29 Städten in Europa und bis nach Südamerika übertragen, wo die alten Menschen, die jeweils in ein paar Metern Höhe an den Häuserwänden sitzen, dem geschäftigen Strom der Städter enthoben, für gesellschaftspolitische Diskussionen sorgten. Die „ZWILLINGE - how do I know I am me …“ von 2001, die einige Wiederaufnahmen erlebten, boten neben eindrucksvollen Bildern von Spiegelungen und Verbundenheit (und deren Schatten) die Erinnerung an die grauenhaften Nazi-Experimente.

2012 wagten sich Hiesl und Kaiser an das eindeutig grausame Thema Kindesmissbrauch mit „Stillleben – und leise schlummert...“. Eine Art Peep-Box stellten sie auf den Chlodwigplatz. Ihr Innenleben war nur durch Löcher einsehbar: Plüschtiere, eine widerliche Menge weiches Spielzeug, das niemand mehr liebte. Eine Tänzerin vergrub darin ihr Gesicht, der Kollege packte sie und die Puppen dort wie Dinge. Das lächelnde Hochzeitspaar, das plötzlich den Platz enterte, wirkte wie bestellt. Über Reaktionen der Zuschauer, gerade der zufälligen Passenten, die häufig sehr unterschiedlich ausfallen, könnten Hiesl und Kaiser ein eigenes Buch schreiben.

Auch das große, binationale „china-hair-connection Peking-Köln“ wies 2008 bittere Szenen von Einsamkeit auf, vereinzelte Menschen auf Mauern, neben Bergen roter Lampions, in einem Käfig voller rosa Barbiepuppen, in Badewannen voller Haarbüschel. Trotzdem schön. So nämlich verlocken sie zum Schauen, zum Nachdenken über Schönheit und übers Schauen und belassen den Performern immer ihre Würde.

In „ID-Clash“ werden die Performer selber zum Thema. Sie erzählen von sich. Angesiedelt in hallenartigen und kleinen Gewächshäusern der Städtischen Gärtnerei in Köln, neben überwinternden Palmen und einer Maschine, die Setzlinge in Plastiktöpfchen stopft, geht es um Menschen mit Transidentitäten, darunter zwei Hirjas aus Bangladesh. Sie zerbröseln Gewissheiten darüber, was Mann, was Frau ist. Natur?

Das Wertvolle an den Performances ist ihre Offenheit, in der Deutung, in ihrer Poesie. Man hat auch die Ohren frei als Betrachter, braucht eben keine Kopfhörer für künstlerische Einflüsterungen. Man hat auch den Blick frei, der vom Installierten, Addierten abschweifen darf durchs Gelände. „Augen auf!“, ruft ein Plakat am neu eingekleideten Ebertplatz, das da zufällig hängt. „Import-Export“ bieten die Geschäfte, neben denen die chinesischen Tänzer Haare raufen. Was heißt schon Zufall. Das gehört jetzt einfach auch zur Kunst. Wenn sie weg ist, bleibt sie an den Orten haften als starkes Erinnerungsbild.

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