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Pina Bausch, Jazz, Scorpions, Tote Hosen und Poetry-Slam: Die börse in Wuppertal wird 50 Jahre alt. Sie feiert mit einem abwechslungsreichen Programm ein Jahr lang in den Geburtstag am 8. November 2024 hinein. Geschäftsführer Lukas Hegemann berichtet im Interview von der Geschichte und Bedeutung des soziokulturellen Zentrums und erzählt von den Themen, die ihn zurzeit beschäftigen.
Die börse ist ein soziokulturelles Zentrum. Was hat es mit dem Begriff auf sich?
LH:
Dem Kommunikationszentrum die börse ging in Wuppertal die 68er Bewegung sowie die Aufbruchsstimmung der freien Kultur in den 1970er voraus. In einer turbulenten Gründungssitzung im Mai 1973 entschied man sich für das Konzept des freien, aber städtisch geförderten „Kommunikations“-zentrums. Die börse gehörte zu den ersten Kulturzentren eines neuen Typs in Deutschland. Die tragende Idee damals war „Kultur für alle“, den Begriff Soziokultur gab es noch gar nicht. Er wurde erst später etabliert – unter anderem von Frederick Mann, der die börse seit 1975 als Geschäftsführer leitete.
Wie ist die börse entstanden?
LH:
Dass ein solcher Ort in Wuppertal gebraucht wurde, zeigt die Zahl der Besuche gleich nach der Eröffnung am 8. November 1974: In den ersten zwei Monaten kamen 50 000 Menschen in die börse, die damals noch im Gebäude am Viehhof untergebracht war. Auf dem Programm standen Konzerte, Tanzabende, Kurse mit dem Ziel der Weiterbildung und Selbstverwirklichung und Nachbarschaftstreffen. Peter Kowald und Peter Brötzmann sorgten dafür, dass viele der amerikanischen (Free-)Jazz-Stars hier spielten, Pina Bausch improvisierte auf der Bühne, später gründeten sich die Fehlfarben und probten vor Ort, auch die Toten Hosen und die Scorpions traten hier auf. Die börse war ein sehr wichtiger Ort für Wuppertal und NRW – weil es hier einzigartige Veranstaltungen gab.
Welche Ereignisse haben die Geschichte der börse aus Ihrer Sicht besonders geprägt?
LH:
Die börse hat im Laufe der 50 Jahre viel erlebt, hat Hoch- und schwierige Zeiten durchgemacht. Nachdem es in den ersten Jahren auf jeder Veranstaltung voll war, folgte 1977 der erste Einschnitt, als der Dachstuhl aus bisher ungeklärter Ursache brannte. Die Wuppertaler Junge Union war in der Nacht mit einem Bus unterwegs – als die in den Nachrichten hörte, dass die börse brennt, hat der ganze Bus applaudiert. So ist es heute zum Glück nicht mehr, aber immer wieder musste die börse ihre Stellung in der Stadt vor der Politik behaupten, durfte sich oft nicht zu links geben, damit die Zuschüsse nicht gekürzt wurden – was trotzdem mehrmals passiert ist, wenn auch wegen leerer Stadtkassen. Die börse konnte erst 1981 ihr Provisorium in der Stadtmitte verlassen und in den Viehhof zurückkehren; es fanden große Jazz-, Punk- und Neue-Deutsche-Welle-Konzerte statt. Und der legendäre Wackeltreff wurde geboren, die wohl wichtigste Partyreihe im Tal am Donnerstagabend, die auch für Azubis, Studierende und Schüler*innen zu einer identitätsstiftenden Veranstaltung wurde.
Ein zweiter Einschnitt war wohl die Klage wegen Lärmbelästigung in den 1990ern: Ein Anwohner versaute allen die Party, weil er ab 22 Uhr Nachtruhe forderte. Die börse lagerte die Partys ins Stadtgebiet aus, reagierte mit einem neuen Konzept – doch erst mit dem Umzug zur Wolkenburg 1998, wo die börse sich heute noch befindet, wurde wieder alte Größe erreicht.
Wie stellt sich die Situation heute dar, und mit welchen Themen beschäftigt sich die börse aktuell?
LH:
Neben Konzerten, Partys, Theatervorstellungen, Comedy und dem Poetry-Slam ist der Projektbereich gewachsen. Kulturelle und politische Bildung, durchdekliniert oft in vernetzten Projekten, machen inzwischen ein gutes Drittel unserer Arbeit aus. Thematisch sind es Diversität, KI und Krieg und Frieden, die uns beschäftigen. Heute befindet sich die börse wieder in einer Zeit des Umbruchs. In den 1970ern war die börse das einzige soziokulturelle Zentrum in Wuppertal, inzwischen sind weitere Orte dazugekommen, die einen soziokulturellen Ansatz verfolgen. Auch die kommunalen Kulturbetriebe richten sich partizipativ aus und werden dadurch zur Konkurrenz für die börse. Als Geschäftsführer beschäftige ich mich schon länger mit dem Thema Bezahlung: Während vor 50 Jahren für viele Selbstausbeutung in Ordnung war, lehnen wir die Gehälter heute an die Bezahlung im öffentlichen Dienst an. Für mehr Planungssicherheit fordert unser Landesverband Soziokultur NRW vom Land sieben Millionen Euro pro Jahr als Strukturhilfe für die Zentren, was immense Ressourcen freisetzen würde, weil weniger Projektanträge gestellt werden müssten. Als Geschäftsführer stehe ich hinter der Forderung. Seit 50 Jahren steht die Soziokultur für praktische Antworten auf die (kulturellen) Fragen der Gesellschaft – etwas mehr monetäre Anerkennung für diese Leistungen wäre ein faires Geburtstagsgeschenk.
Lukas Hegemann ist seit 2017 Geschäftsführer der Wuppertaler börse. Für die Soziokultur hat er sich schon in jungen Jahren begeistert: Nach ersten Besuchen im Düsseldorfer Zakk hat er sich dort engagiert und als Tontechniker gearbeitet, auch, um sein Studium der Philosophie und der Germanistik zu finanzieren. Später war er für das Musikprogramm im Zakk verantwortlich. Er hat als freier Autor und Kolumnist für „Fachblatt“ und „Überlick“ geschrieben und an der Hochschule Niederrhein in Krefeld zum Thema Medientheorie doziert.