Poetry Slam in der Wuppertaler Börse

Literatur
Wer bei „Poesie“ nur an Heinrich Heine und Versformen denkt, sollte mal in der Wuppertaler Börse vorbeischauen. Einmal im Monat treten bei Poetry-Wettbewerben Dichterinnen gegeneinander an. Und die haben viel mehr drauf als wohlklingende Paarreime. Ralph Michael Beyer und Wilko Gerber organisieren die sogenannte „Slam-Börse“ im Kulturzentrum. Im Interview sprechen die beiden Moderatoren über die Kunst des Poetry-Slams. Und sie erzählen, warum Wuppertal ein besonders guter Ort dafür ist.
Was ist Poetry Slam eigentlich genau?
WG:
Poetry Slam ist ein Dichter*innenwettstreit. Künstler*innen treten mit selbstgeschriebenen Texten gegeneinander an. Und das Publikum entscheidet per Votum, wer gewinnt.
RMB:
Poetry Slam folgt drei einfachen Regeln: Erstens muss jede*r in Alltagskleidung auf die Bühne kommen. Lustige Kostüme oder Hüte sind nicht erlaubt. Zweitens gibt es ein Zeitlimit von sechseinhalb Minuten. Und drittens müssen alle Texte, wie gesagt, selbst geschrieben sein.
Einmal im Jahr organisiert ihr in Wuppertal eine „Stadtmeisterschaft“ im Poetry Slam. Wie läuft die genau ab?
WG:
Die Stadtmeisterschaft ist das große Finale der Poetry-Slam-Saison. Alle Sieger*innen eines Jahres treten noch mal gegeneinander an. Wer gewonnen hat, kann dann anschließend noch am großen NRW-Slam oder sogar an der Deutschen Meisterschaft teilnehmen, um Wuppertal zu vertreten.
RMB:
Wuppertal hat schon viermal den Deutschen Meister im Poetry Slam gestellt – zweimal hat Jan Philipp Zymny gewonnen, zweimal Patrick Salmen. Wuppertal ist also ein ganz gutes Pflaster!
Worin liegt für euch persönlich der besondere Reiz beim Poetry Slam?
WG:
Jede*r kann mitmachen. Viele Leute schreiben für sich alleine und legen ihre Texte dann in die Schublade. Da verstecken sich manchmal echte Goldstücke. Der Poetry Slam gibt solchen Menschen eine Bühne – und eine Stimme.
RMB:
Und zwar in jedem Alter. Ich habe selbst erst mit Anfang 60 angefangen. In Ostdeutschland gibt es einen Slamer, der über 90 Jahre alt ist. Die Szene ist unheimlich tolerant, da gibt es keine Berührungsängste.
Sollte man als Poetry-Slammer denn idealerweise eine Rampensau sein?
WG:
Grundsätzlich hilft es natürlich, wenn man sich vor Publikum wohlfühlt und vielleicht selbst schon einmal bei einer Theateraufführung in der Schule dabei war. Aber aus meiner Sicht ist Poetry Slam etwas, das man mit ein wenig Übung wirklich gut hinbekommt. Manche brauchen vielleicht einen etwas größeren Schubser, um sich auf die Bühne zu trauen.
RMB:
Vor fremden Leuten zu sprechen und die eigenen Gedanken zu offenbaren – da kann einem natürlich schnell das Herz in die Hose rutschen. Wer sich ausprobieren möchte, kann auch erstmal auf einer kleineren Lesebühne oder auf einer Offenen Bühne anfangen. Oder die Texte vor Freund*innen und Bekannten testen.
Gibt es Themen, die beim Poetry Slam besonders häufig „besprochen“ werden?
WG:
Man kann den Zeitgeist einer Gesellschaft beobachten. Die Themen, die gerade im Gespräch sind, finden sich früher oder später auch auf der Bühne wieder. Die einen versuchen, mit lustigen Texten beim Publikum zu landen. Andere offenbaren sich regelrecht, sprechen über ihre Ängste oder Depressionen.
RMB:
Corona und die damit verbundene Isolation war natürlich ein großes Thema. Außerdem geht es oft um Beziehungen. Manchmal ist echt viel 'Deep Shit' dabei. Aber auch solche Texte kommen gut an. Weil die Menschen sehr eindrücklich von ihren persönlichen Erfahrungen erzählen. Da gibt es oft richtige Gänsehautmomente.
Was ist das Poetische am Poetry Slam?
WG:
Es geht immer um gute Geschichten. Die Poesie hat sich ja längst vom Medium Literatur gelöst. Man muss nur einen Blick auf die Musik werfen: Es gibt viele Rapper*innen, die gut dichten und ihre Kunst vor Publikum performen. Das ist auch eine Form von Poesie.
Was ist die Börse in Wuppertal für ein Ort?
RMB:
Die Börse ist ein soziokulturelles Zentrum mit großer Tradition hier im Bergischen Land. Es gibt unheimlich viele Veranstaltungen – Konzerte, Tanz, Zaubershows, Workshops, Performances, Rudelsingen...
RMB:
Einige Stars haben hier ihre ersten Schritte gemacht und gehören jetzt zu den ganz großen der Comdey-Szene. Zum Beispiel Torsten Sträter, Sandra Da Vina oder Helene Bockhorst.
Und wie seid ihr in die Szene reingerutscht?
WG:
Bei mir war das ganz klassisch: Ich habe schon als Kind gerne den WDR Poetry Slam mit Jörg Thadeusz im Fernsehen geguckt. In der Schule gab es dann einen Poetry-Slam-Workshop, da war ich natürlich sofort dabei. Zum Schluss fand ein kleiner Wettbewerb statt. Den habe ich gewonnen und wollte danach sofort auf jeden Slam gehen.
RMB:
Ich habe auch immer gerne Poetry Slam im Fernsehen geschaut. Und ich habe immer gerne geschrieben. Den Weg auf die Bühne habe ich aber lange nicht gefunden. Das war für mich immer nur ein Konjunktiv – ich könnte ja mal, ich würde ja gerne. Vor zehn Jahren war ich dann für eine längere Zeit in Mexiko unterwegs und habe meinen Freund*innen kleine Reiseberichte geschickt. Die sind immer ganz gut angekommen. Das hat mich motiviert und ich habe mich schließlich auf eine Lesebühne getraut. Und kurz danach war ich dann schon bei einem großen Poetry Slam mit 350 Zuschauer*innen dabei. Seitdem bin ich in der Szene unterwegs und moderiere jetzt zusammen mit Wilko den Börsenslam.
Welche Rolle spielt der Poetry Slam für die Kulturszene in Wuppertal?
RMB:
Er ist sehr wichtig für die Jugendarbeit hier in der Stadt. Poetry Slam bietet vor allem für junge Leute so viele Möglichkeiten, eine eigene Stimme zu entwickeln und sich kreativ auszudrücken. Außerdem ist die Community sehr unterstützend und tolerant, man fühlt sich schnell gut aufgehoben. Nicht umsonst spricht man von der „Slamily“. Und die hat ganz viel Power.
Was habt ihr in Zukunft mit der Slam Börse noch so vor?
RMB:
Die Corona-Zeit war auch für uns nicht einfach. Wir arbeiten jetzt daran, wieder mehr Menschen zu uns einzuladen. Ich träume ja davon, irgendwann mal einen Slam in der Wuppertaler Schwebebahn zu veranstalten...
Text & Interview
Kristina Schulze
Fotos
Markus J. Feger

Poetry Slam in der Wuppertaler Börse, Wolkenburg 100, 42119 Wuppertal

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